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In der Wahmstraße 42 wohnten Daniel Salomon und seine Frau Fanny.

Haus Wahmstraße 42; Foto Heidemarie Kugler-Weiemann, 2008
Haus Wahmstraße 42; Foto Heidemarie Kugler-Weiemann, 2008

 

Ihre Wohnung befand sich im ersten Stock des Flügels, des Hinterhauses also, das es auch heute noch gibt. Beide stammen aus Kiel, Daniel Salomon wurde am 4.5.1874 geboren, Fanny Jonass am 3.5.1881.

Wenig ist über sie bekannt. Daniel Salomon war als Bote beschäftigt und ab 1929 in Lübeck gemeldet. Unklar ist, ob er mit anderen Salomons in Lübeck verwandt war.

Das Ehepaar hatte zwei Söhne. Der ältere Sohn Siegfried kam am 17.7.1909 in Kiel zur Welt, sein jüngerer Bruder Israel am 8.2.1913 in Bad Mergentheim. Dieser konnte im Sommer 1939 nach England flüchten, Siegfried meldete sich 1936 nach Hamburg ab.

In einer Akte der Polizeiverwaltung finden sich unter den vielen Schriftstücken, mit denen die jüdische Bevölkerung Ende 1938 die Annahme der zwangsweise verordneten zusätzlichen Vornamen “Sara” und “Israel” annehmen musste, auch drei handschriftliche Anträge des Ehepaars Salomon. Wie außer ihnen nur eine weitere Familie aus Lübeck versuchen sie, eine Änderung ihrer Vornamen zu beantragen, um damit die Annahme des zusätzlichen Zwangsnamen zu vermeiden.

„Lübeck, d. 29.Sept.38
An das Reichsinnen-Ministerium!
Zu dem neuen Reichsgesetz, wegen Änderung der jüdischen Vornamen, bitte ich für meine Frau, welche jetzt den Namen Fanny trägt, den Namen Frommet annehmen zu dürfen, und für mich, der den jetzigen Namen Daniel hat, den Namen Dan annehmen zu dürfen.
Ich bitte höflichst um Genehmigung für diese Namensänderung.
Hochachtungsvoll
D.Salomon
Lübeck  Wahmstraße 42 ptr.”

Die beantragten Vornamen Frommet und Dan finden sich auf der Liste sogenannter jüdischer Vornamen, die mit der Verordnung vom 17.8.1938 veröffentlicht worden war. Der Antrag des Ehepaars Salomon nahm offenbar zunächst seinen behördlichen Gang, indem Antragsformulare für Namensänderungen ausgefüllt und weitergeleitet wurden. Dann jedoch folgen zwei anderslautende Erklärungen. Zunächst schreibt Daniel Salomon:

„Lübeck, d. 26.Juni 1939
An das Polizeirevier Lübeck
Hiermit teile ich höflichst mit, daß ich den Antrag von mir und den meiner Frau auf Namensänderung zurückziehe, mit der Begründung, daß ich in einiger Zeit auswandere.
Hochachtungsvoll
Daniel Israel Salomon
Wahmstraße 42”

Die handschriftliche Notiz des Polizeipräsidenten vom 3.7.39 auf dem Schreiben verlangt, dass Daniel und Fanny Salomon eine Erklärung über die Annahme der zusätzlichen Vornamen abzugeben und das Standesamt ihres Heimatortes Kiel ebenfalls darüber zu informieren hätten.

„Lübeck, d. 10.Juli 1939
An das Polizeipräsidium, Lübeck
Betreff Ihres Schreibens vom 26.6.1939 teile ich Ihnen mit, daß ich den Vornamen Sara angenommen habe. Als Beweis habe ich meine Kennkarte erhalten, die ich bereits vor einigen Tagen vorgelegt habe. Auch an das Standesamt Kiel, habe ich, sowie mein Mann Mitteilung von unseren beiden Zusatznamen gemacht.
Anmerken möchte ich noch, daß mein Mann im Sept. vorigen Jahres sein Gesuch geschrieben hat wegen Namensänderung. Da wir beide inzwischen unsere Kennkarte erhalten haben, so hat er dasselbe auf dem Polizeirevier zurückgegeben.
Hochachtungsvoll
Frau Fanny Sara Salomon
Wahmstraße 42”

Auf der Rückseite findet sich der Vermerk des Polizeipräsidenten, die Sache sei wegen Erhalt der Kennkarten erledigt.

Schreiben von Daniel Salomon vom 26. Juni 1939 mit Anmerkungen des Polizeipräsidenten
Schreiben von Daniel Salomon vom 26. Juni 1939 mit Anmerkungen des Polizeipräsidenten
Schreiben von Fanny Salomon vom 10.Juli 1939
Schreiben von Fanny Salomon vom 10.Juli 1939

Über die Hintergründe dieser Schreiben lassen sich nur Vermutungen anstellen: Für eine Auswanderung wurden Pässe benötigt, möglicherweise binnen kurzer Frist. Die beantragte Namensänderung hätte Verzögerungen zur Folge haben können. Als Termin zur Annahme der zusätzlichen Vornamen war der 1. Januar 1939 gesetzt; aus den Zeilen Fanny Salomons lässt sich also durchaus herauslesen, dass mittlerweile Druck auf das Ehepaar ausgeübt wurde und eine Strafe mit bis zu vier Wochen Gefängnis drohte. Eine andere Lübeckerin war zu einer Geldstrafe von  RM  100,- sowie zwei Wochen Gefängnis verurteilt worden, weil sie die Annahme des zusätzlichen Vornamens nicht fristgerecht erklärt hatte.

Die Bemühungen von Fanny und Daniel Salomon um eine Auswanderung blieben erfolglos. Beide wurden am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert. Zu diesem Zeitpunkt war Fanny Salomon 60 Jahre alt, ihr Mann 67. Beide dürften zu den Menschen gehören, die im März 1942 im Bikerniekiwald bei Riga erschossen worden sind.

Verzeichnis der Quellen außerhalb der Standardfachliteratur:

  • Adressbücher und Meldekartei der Hansestadt Lübeck
  • Archiv der Hansestadt Lübeck, Staatliche Polizeiverwaltung 109, 110, 123, 124
  • Buch der Erinnerung, Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden, bearbeitet von Wolfgang Scheffler und Diana Schulle, München 2003
  • Memorbuch zum Gedenken an die jüdischen, in der Schoa umgekommenen Schleswig-Holsteiner und Schleswig-Holsteinerinnen, hrsg. V. Miriam Gillis-Carlebach, Hamburg 1996
  • Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims Names

Heidemarie Kugler-Weiemann, April 2008