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St.-Annen-Straße 11 - Sara Opler

In der St. Annen-Straße 11, dem Altersheim der Jüdischen Gemeinde, lebte seit 1932 Sara Opler, geborene Terkeltaub.

Das Altersheim der Jüdischen Gemeinde, St. Annen-Straße 11, Foto ohne Jahr, Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck
Das Altersheim der Jüdischen Gemeinde, St. Annen-Straße 11, Foto ohne Jahr, Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck

Sara Opler war am 17. Januar 1872 in Chmielnik in Polen geboren und kam im August 1916 mit ihren fünf Kindern nach Lübeck, wo ihr Ehemann Hermann Opler (in Deutschland oft Oppler geschrieben) sich bereits seit 1913 zeitweise aufhielt.

Die beiden älteren Kinder waren in Polen zur Welt gekommen, Chane Friede (Frieda) am 1.9.1898 und  Chaim Yankel (Jacob) am 8.1.1902 in Ben(d)zin. Dies war auch der Heimatort von Hermann Opler, der dort am 13.7.1872 geboren war.

Sara Opler, Foto ohne Jahr im Besitz von Susan Heimann-Llewellyn, New York
Sara Opler, Foto ohne Jahr im Besitz von Susan Heimann-Llewellyn, New York

Die drei jüngeren Kinder wurden bereits in Deutschland - in Offenbach - geboren : Israel kam am 3. März 1905 zur Welt, Etta (Jette) am 5. November 1909 und schließlich Leo am 3. Februar 1912. Er war zum Zeitpunkt des Umzugs nach Lübeck vier Jahre, für seine Geschwister muss der Wechsel des Wohnortes auch bereits einen Schulwechsel mit sich gebracht haben.

Die Familie Opler galt als staatenlos, auch die in Deutschland geborenen Kinder.

Ihre Einwanderung nach Deutschland war mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Zeitweise war die Familie während des 1. Weltkriegs als "feindliche Ausländer" in Holzminden interniert, Sara Opler mit ihren beiden Töchtern und dem kleinen Leo im Frauenlager, Hermann Opler mit den älteren Söhnen im Männerlager. Die Eheschließung Sara und Hermann Oplers durch den Rabbiner in Polen wurde zunächst nicht anerkannt, so dass die Kinder wie ihre Mutter den Mädchennamen Terkeltaub führen mussten. Später durften alle den Familiennamen Opler tragen.

Das Ehepaar trennte sich nach einigen Jahren. Auf der Meldekarte von Hermann Opler wurde der Begriff Ehemann durch ledig ersetzt. Eine Scheidung hat aber vermutlich nicht stattgefunden.

Ab 1923 wohnte Sara Opler mit ihren Kindern in einer Wohnung im 2. Stock in der Marlesgrube 50, dem Haus der ebenfalls als staatenlos geltenden jüdischen Familie Lexandrowitz, deren sechs Kinder etwa im gleichen Alter wie die Kinder Sara Oplers waren.

Hermann Hersch Opler arbeitete zunächst als Händler und verdiente genug, um einen kleines Haus zu erwerben. In den Adressbüchern von 1932 und 33 ist er als Produktenhändler in der Kleinen Gröpelgrube 14 verzeichnet. Doch später verdiente er als Arbeiter sein Geld und wechselte seine Wohnungen sehr häufig. Seine letzten Anschriften in Lübeck in den Jahren 1939 und 1940 lauteten: Hüxstraße 110, Königstraße 116, Hartengrube 5 bei Lissauer und schließlich St.-Annen-Straße 7, ein Haus, das sich zu diesem Zeitpunkt im Besitz der Jüdischen Gemeinde befand und das etlichen aus ihren Wohnungen vertriebenen Menschen Unterkunft bot.

Im Juli 1941 wurde Hermann Opler von hier aus in eine Heilanstalt in Bendorf / Koblenz "von Amts wegen" eingewiesen. Die Jakoby-sche Heil- und Pflegeanstalt war zu diesem Zeitpunkt der einzige Ort, wo nervenkranke jüdische Patienten noch behandelt werden durften, und glich dadurch (wie fast alle jüdischen Krankenhäuser in diesen Jahren) einem Sammellager. Vom 22. März an bis zum 11. November 1942 wurden von dort 573 Menschen in die Vernichtungslager im Osten deportiert, die Heilanstalt wurde geschlossen. Laut Gedenkbuch des Bundesarchivs wurde Hermann Opler in Izbica bei Lublin ermordet. 

Leo Opler im Sommer 1929 als Verkäufer am Strand von Niendorf an der Ostsee.
Leo Opler im Sommer 1929 als Verkäufer am Strand von Niendorf an der Ostsee.

Der Name Hermann Oplers findet sich ebenso wie der Sara Oplers und der seiner Söhne auf verschiedenen Namenslisten der Lübecker Polizeiverwaltung, die in den Jahren um 1938 zusammengestellt worden waren. In der "Aufstellung der in Lübeck gemeldeten Juden mit ausländischer Staatsangehörigkeit" von 1938 sind außer Sara Opler (St.Annen-Straße 11) ihre Söhne Jacob (Balauerfohr 9) und Leo Oppler (Georgstraße 28) aufgeführt. Die anderen Kinder hatten Lübeck bereits verlassen. Frieda, Israel und Etta lebten in Berlin.

Von der sog. "Polenaktion" Ende Oktober 1938, waren die Oplers als Staatenlose zwar nicht betroffen, wohl aber von ihren Auswirkungen: Sie wurden in den Folgemonaten von der Gestapo massiv unter Druck gesetzt, wiederholt vorgeladen und zum Verlassen Deutschlands gedrängt, anderenfalls drohe die Einweisung in ein Konzentrationslager. Auf einer der Überprüfungslisten der Polizei aus dem Jahr 1939 heißt es, Sara Opler und Hermann Hersch Opler seien "beide um Auswanderung bemüht" und Leo Opler befinde sich in Belgien. Er hatte sich am 26.7.1939 nach Brüssel abgemeldet.

Jacob Opler war im Oktober 1938 aus Deutschland ausgewiesen worden und hatte Zuflucht in Paraguay gefunden. Später ging er nach Argentinien.

1939 verließ auch Etta zusammen mit ihrem Mann Heinrich Heimann Berlin und wanderte in die USA aus. In einem Brief vom 14. Mai 1940 an ihre nach Shanghai geflüchtete Schwester erwähnten Bertha und Dora Lexandrowitz die Freundin und frühere Nachbarin:

"Etta Oppler-Heimann hat uns auch sehr nett aus New York geschrieben. Sie hat ein Töchterchen geboren! Sie heisst: Susan."

Auch die älteste Tochter war inzwischen verheiratet. Frieda Saalfeld, geborene Opler meldete sich am 31. 1.1940 von Lübeck nach Berlin-Charlottenburg ab. Es gelang ihr, sich in der Nähe von Berlin zu verstecken und so Naziherrschaft und Krieg zu überleben. Allerdings verstarb sie kurz darauf (1946 oder 1947). Ihre Tochter Evchen blieb durch ihren nichtjüdischen Vater zwar von einer Deportation verschont, nicht jedoch von Zwangsarbeit für die Firma Siemens. Evelyn Saalfeld (Sie trug zwar diesen Namen, doch Willy Saalfeld war nicht ihr Vater.) heiratete einen amerikanischen Soldaten, der in Deutschland geboren war, und ging 1948 mit ihm in die USA. In den 90er Jahren starb sie während einer Reise in Marokko.

Am 27. November 1941 schrieb Sara Opler einen letzten Brief an ihre Tochter Etta, den Schwiegersohn und die kleine Enkeltochter Susan. Adressiert ist der Brief an "Herrn u. Frau Dr. Heimann, 245 Ft. Washington ave, New York, USA." Sie schrieb ihn nicht selbst, möglicherweise bereitete ihr dies Schwierigkeiten, sondern diktierte ihn Dora Lexandrowitz (Jahrgang 1908), der Freundin ihrer Tochter, die jetzt wie sie einen "Evakuierungsbefehl" erhalten hatte. Nachdem sie lange Jahre zusammen in der Marlesgrube 50 in einem Haus gelebt hatten, musste nun auch Dora nach dem Zwangsverkauf des Elternhauses Unterschlupf in der St. Annen-Straße 11 suchen.

Lübeck, 27.11.41

Meine lieben Kinder, mein geliebtes Enkelkindchen -

Euren l. Brief vom 22.10. habe ich durch Frida erhalten u. bin glücklich daraus Euer Wohl zu ersehen. Hoffentlich seid Ihr alle weiter gesund u. der l. Hugo hat auch geschäftlich Erfolg. Dies wünsche ich Euch vom Herzen. Zu gern hätte ich mein süsses Enkelkindchen selbst gesehen, aber wer weiss, ob dies im Leben nochmal der Fall sein wird. Ja, meine lieben Kinder, dies ist vorläufig ein Abschiedsbrief für Euch, denn meine Adresse wird sich ab 4.12. wohl ändern. Ich bin aber noch nicht in der Lage Euch die neue Anschrift mitzuteilen, seid versichert, dass ich Euch sobald ich nur kann, davon Mitteilung machen werde. Ich vertraue auf den l. G'tt, wie er unser Schicksal lenkt, soll es ja zum Guten sein. Dora Lex geht auch mit mir u. viele andere auch noch.

Frida und Evchen werden Euch sicher Ähnliches berichten. Sorgt Euch nicht zuviel, wir hoffen auf ein gesundes Wiedersehen.

Liebe Etta, ich habe den ganzen Sommer keine Post von Jacob  gehabt. Bitte schreibe Du ihm u. Israel einen netten Brief u. sage ihnen, dass meine Gedanken Tag u. Nacht nur bei meinen l. Kindern sind. Von Leo hatte ich Post. Er ist gesund.

Das eine Auge tränt bei mir schon während des ganzen Sommers, sonst fühle ich mich aber Gttlob gesund u. hoffe alles zu überstehen. Am 7.4. habe ich zuletzt den Arm beim Gardinenaufstecken gebrochen, aber jetzt ist alles wieder gut. Ich habe mich schon auf meinen 70. Geburtstag gefreut, den ich bei Frida und Evchen verleben wollte. Nun werde ich ihn in traurigen Gedanken wohl für mich alleine verleben müssen. Ohne Kinder! So ist das Leben. Aber den Mut u. die Hoffnung will ich nicht verlieren.

Besonders grüsse u. küsse ich meine innigstgeliebte Susan, die ich zu gern im Leben noch persönlich gesehen hätte um mich an ihr zu erfreuen. Ich wünsche Euch u. ihr vom Herzen nur das Allerbeste. Seid versichert, dass ich viel an Euch denke u. sicher werdet Ihr auch an mich nicht vergessen. Ich bete Tag u. Nacht für alle meine Kinder.
Bleibt gesund, ich schreibe sobald ich kann. Wartet mit Eurer Antwort bis ich Euch meine neue Adresse mitgeteilt habe.

In Liebe
Eure Euch nie vergessende Mutter und Oma.


Liebe Etta, alles Gute, Dir u. Deinem Mann u. Kindchen. Deine Dora.

Am 6. Dezember 1941 wurde Sara Opler zusammen mit Dora Lexandrowitz und etwa neunzig weiteren Menschen aus Lübeck nach Riga deportiert. Kurzfristig war der Zeitpunkt der Deportation auf einen Schabbat verschoben worden. Der Sammelpunkt für die "Evakuierung nach dem Osten" war in der St. Annen-Straße 11. Die Menschen wurden mit ihren je 50 kg Gepäck mit Bussen zum Haupbahnhof gebracht, wo sie in bereitstehende Personenwagen einstiegen und dann zunächst nach Bad Oldesloe fuhren. Hier wurde der sog. Hamburger Transport mit etwa 1000 jüdischen Menschen aus Lübeck, Kiel, verschiedenen anderen Orten Schleswig-Holsteins und aus Hamburg zusammengestellt.

Die Fahrt endete am Bahnhof Skirotova im Süden von Riga. Zu Fuß wurden die Menschen durch den Schnee getrieben zum etwa drei Kilometer entfernten Jungfernhof. Das ehemalige Gut an der Daugava (Düna) war nicht vorbereitet auf die Aufnahme vieler Hunderter Menschen. In Scheunen und Ställen mit mehrstöckigen Holzpritschen, jedoch ohne Heizmöglichkeiten und Sanitäranlagen, wurden etwa viertausend Familien aus vielen Städten zusammengepfercht.

Kälte und Hunger führten in den Wintermonaten zum Tod vieler Menschen. Im Februar 1942 wurden etwa tausend Kinder, Frauen und Kranke mit Lastwagen in den Bikernieki-Wald transportiert und dort erschossen. Eine zweite solche Mordaktion fand am 26. März 1942 statt. Spätestens dabei dürfte die siebzigjährige Sara Opler ihr Leben verloren haben.

In ihrem Abschiedsbrief sorgte sie sich um ihre Söhne Jacob und Israel, von denen sie monatelang keine Nachricht mehr gehabt hatte, während sie vom jüngsten Sohn Leo Post erhalten hatte und ihn "gesund" wusste. Doch auch Leo wurde von Brüssel aus nach Auschwitz deportiert und dort am 10. Mai 1942 ermordet. Seine Frau Rachel Mickenbrunn war entweder schwanger oder hatte gerade ihr Baby geboren, als sie 1943 in Brüssel starb.

Israel Opler dagegen gelang die Flucht ins rettende Ausland. In den späten 1940er Jahren ging er in den USA. Er starb etwa 10 Jahre später.

Verzeichnis der Quellen außerhalb der Standardfachliteratur:

  • Adressbücher und Melderegister der Hansestadt Lübeck
  • Archiv der Hansestadt Lübeck, Staatliche Polizeiverwaltung 8, 25, 108, 110, 124;
  • Liste des Ordnungsamtes von 1963 über den Verbleib jüdischer Menschen
  • Buch der Erinnerung, Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden, bearbeitet von Wolfgang Scheffler und Diana Schulle, München 2003
  • Datenpool JSHD der Forschungsstelle “Juden in Schleswig-Holstein” an der Universität Flensburg
  • "Hoffentlich klappt alles zum Guten...", Die Briefe der jüdischen Schwestern Bertha und Dora Lexandrowitz, bearbeitet und kommentiert von Heidemarie Kugler-Weiemann und Hella Peperkorn, Neumünster 2000
  • Memorbuch zum Gedenken an die jüdischen, in der Schoa umgekommenen Schleswig-Holsteiner und Schleswig-Holsteinerinnen, hrsg. v. Miriam Gillis-Carlebach, Hamburg 1996
  • Albrecht Schreiber, Zwischen Davidstern und Doppeladler, Illustrierte Chronik der Juden in Moisling und Lübeck, Lübeck 1992
  • Schriftwechsel mit Susan Heimann Llewellyn (Enkeltochter von Sara Opler), 2010
  • www.alemannia-judaica.de
  • Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims’ Names
  • Zeitzeugengespräche

2010, Heidemarie Kugler-Weiemann