In der Schusterbreite 5 in Schlutup wohnte Wilhelm Krohn.
Kurzbiographie
Geb. 19.04.1875 in Schönberg, Kreis Neustrelitz/Mecklenburg
1902 Heirat mit Anna Barteldt
Vater von vier Kindern
1914 Übersiedlung nach Lübeck-Schlutup Soldat im Ersten Weltkrieg
seit 1919 Lübecker Bürger
jahrzehntelang Arbeiter in der Fischindustrie
Witwer seit Mai 1938
Rentner (wahrscheinlich seit Frühjahr 1940)
28.06.1940 verhaftet und Einlieferung ins Untersuchungs- und Marstallgefängnis Lübeck
21.08.1940 Einweisung in das Strafgefängnis Lübeck-Lauerhof
27.09.1940 Überführung in das Konzentrationslager Sachsenhausen
Haftart: Schutzhaft
gest. 29.11.1940 in Sachsenhausen, angegebene Todesursache: Zellgewebeentzündung/akute Herzschwäche
Biographie
Wilhelm Krohn wurde am 19. April 1875 in Schönberg in Mecklenburg-Strelitz in einfachen Verhältnissen geboren. Er gehörte der Evangelisch-Lutherischen Kirche an und war verheiratet mit der gleichaltrigen und ebenfalls aus Schönberg stammenden Anna Barteldt, geb. am 19.11.1875.
Er kam mit seiner Familie am 15. April 1914 im Alter von 39 Jahren nach Lübeck und fand dort Arbeit in der Schlutuper Fischindustrie. Vermutlich war er bereits seit Anfang des Jahrhunderts als Wanderarbeiter dort tätig.
Das Ehepaar Krohn hatte vier Kinder; ein Sohn starb bereits am 13.12.1920 im Alter von nur 14 Jahren. Ihr jüngster Sohn Herbert wurde am 2. November 1914 in Schlutup geboren.
Nachdem die Familie von Wilhelm Krohn in den ersten beiden Jahren dreimal innerhalb Schlutups umgezogen war, wohnte sie danach über 20 Jahre in einem Haus der Fischerfamilie Bade, Hintern Höfen 13a. Ihr jüngster Sohn Herbert zog am 16. März 1932 aus dem elterlichen Haus aus und nahm sich eine Wohnung in der benachbarten Hafenstraße 29, seit 1938 Haler Ort, das ebenfalls der Familie Bade gehörte. Am 24. Oktober 1935 zog das Ehepaar Krohn schließlich in die Feldstraße 5, welche seit 1938 Schusterbreite hieß.
Sie wohnten dort mit vier weiteren Parteien im 1. Stock einer Betriebswohnung der Fischräucherei und Konservenfabrik Peter Bade. Der Betriebsleiter, der im Nachbarhaus wohnte, war Mitglied der Ortsgruppe der NSDAP. Anna Krohn verstarb kurz darauf am 27. Mai 1938 im Alter von 63 Jahren.
Es war kurz nach Eintritt ins Rentenalter, als der Witwer auf Grund einer Denunziation, vermutlich aus dem engeren Umfeld (Nachbarschaft), von der Gestapo verhaftet wurde. Über eine gewerkschaftliche oder politische Betätigung Krohns während der gesamten Zeit ist nichts bekannt. Nach Aussage seines Enkels wurde ihm vorgeworfen, einigen sogenannten „Fremdarbeiterinnen“ aus Polen, die in seiner früheren Firma Zwangsarbeit leisten mussten, wiederholt Lebensmittel zugesteckt zu haben. Diese lebten vermutlich in einem kleinen, direkt an das Grundstück seines Wohnhauses angrenzenden Barackenlager.
Die genaueren Gründe für seine Festnahme sind nicht bis ins letzte geklärt, da die Gestapo Lübeck ihre gesamten Unterlagen vor Kriegsende vernichtet hat. Fest steht aber, dass er auf einen Erlass des Geheimen Staatspolizeiamtes ohne vorheriges Gerichtsverfahren in sogenannte „Schutzhaft“ genommen und in ein Konzentrationslager eingewiesen wurde, in dem er bereits nach wenigen Wochen zu Tode kam. Die näheren Umstände dazu sind weitgehend erschlossen.
Auf Anordnung des Kriminaloberassistent Liebetanz der Gestapo Lübeck wurde Wilhelm Krohn am Sonnabend, den 28. Juni 1940 um 11:00 Uhr durch den Polizeihauptmeister Hansen verhaftet und in das Untersuchungs- und Marstallgefängnis Lübeck-Stadt eingeliefert. Alle seine Habseligkeiten, Geldbörse, Schlüssel, Brille, Taschenuhr und Kautabak wurden ihm abgenommen.
Die Niederschrift seiner erkennungsdienstlichen Erfassung am 29. Juni 1940 gibt ein vages Bild von der äußeren Erscheinung des Mannes wieder: Er war bei einer Größe von 1,62 m und einem Gewicht von 62 Kg von schlanker Gestalt. Er hatte blau-grüne Augen, graue Haare und trug einen Schnurrbart. Am 21. August wurde er dann in das Strafgefängnis Lübeck-Lauerhof eingeliefert. Am 22. August wurde er vom Amtsarzt als außenarbeitsfähig eingestuft und daraufhin vom 23. August bis zum 24. September in der Gärtnerei eingesetzt.
Während seiner Haftzeit erhält er drei Mal für 10 Minuten Besuch von seiner Tochter Ida. Am 9. Juni noch in der Untersuchungshaft, am 13. August und zuletzt am 31. August. Im Beisein eines Gefängnisbeamten hat er da die Möglichkeit kurz mit ihr zu sprechen. Am 31. August um Punkt 12:00 Uhr sehen sie sich das letzte Mal.
Auf Anordnung der Staatspolizei Kiel vom 16.09.1940 wurde Wilhelm Krohn am 27. September 1940 im Alter von 65 Jahren mit weiteren „Schutzhäftlingen“ in das Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg, nördlich von Berlin, überführt. Er erhielt die Häftlingsnummer 33.229.
Keine zwei Monate später, am 29. November 1940 um 14:00 Uhr verstarb Wilhelm Krohn im Konzentrationslager Sachsenhausen. Als Todesursache wurde eine Zellgewebeentzündung bei akuter Herzschwäche angegeben. Sein Leichnam wurde eingeäschert. Üblicherweise wurde die Urne mit den Überresten des Verstorbenen an seinen letzten amtlichen Wohnsitz gesandt, wo er seine letzte Ruhe fand. Bis in die 50er Jahre gab es eine Grabstelle für das Ehepaar Anna und Wilhelm Krohn auf dem Friedhof in Schlutup. Tatsächlich ist er aber wie viele weitere Opfer des KZ Sachsenhausen in einem Sammelgrab in Berlin-Altglienecke beigesetzt worden.
Fast 70 Jahre später recherchierte Wilhelm Krohns Enkel Rainer sein Schicksal, das so deutlich wie kaum ein anderes zeigt, wie schnell ein völlig unbescholtener Bürger in Zeiten des Unrechts in der Verfolgungsmaschinerie eines totalitären Staates regelrecht zermahlen wurde. Seine Barmherzigkeit brachte ihm den Tod.
Am 7. März 2011 wurde auf Beschluss des Bauausschusses der Hansestadt Lübeck der Günther-Quandt-Platz in Schlutup in Wilhelm-Krohn-Platz umbenannt, als Ehrung und Andenken an einen einzelnen, einfachen Menschen, der in Zeiten von Gewalt und staatlichem Terror Menschlichkeit und Mut gezeigt hat.
Bildnachweise
[1] Foto aus dem Familienbesitz Das Foto von Wilhelm Krohn in Uniform befindet sich auch in der Staatsangehörigkeitsakte (Stadt- und Landamt , Nr. 1828, Anhang 4)
[2] Foto aus dem Familienbesitz
[3] Gemeinnütziger Verein Schlutup, "Wie kommt der Fisch in die Dose?"
[4] Gefangenenpersonalakte Strafgefängnis Lübeck-Lauerhof LAS 357.2.Nr. 1687
[5] Nachweisung über Unterbringung und Beschäftigung Anlagen zur Gefangenenpersonalakte LAS 357.3 Nr. 1687
[6] Bescheinigung der Geheimen Staatspolizei Grenzpolizeikommissariat Lübeck Anlagen zur Gefangenenpersonalakte LAS 357.2 Nr. 1687
Verzeichnis der Quellen außerhalb der Standardfachliteratur
- Archiv der Hansestadt Lübeck (AHL), Meldedatei, Meldekarte: Wilhelm Krohn
- AHL, Lübecker Bürgerrecht-Kartei, Staatsangehörigkeitsverzeichnis Verzeichnis 1903, Mai bis 1930, Seite 479, Nr. 1828, Stadt- und Landamt Nr. 1828: Aufnahmeurkunde, Strafenverzeichnis und Landesarchiv Schleswig, Gefangenpersonalakte der Justizvollzugsanstalt Lübeck, Abt. 357.3 Nr. 1687
- Adressbuch der Hansestadt Lübeck und benachbarter Gemeinden 1939
- Interview mit dem Enkel Rainer Krohn, Lübeck am 11.03.2010
- Schreiben der Geheimen Staatspolizei Grenzpolizeikommissariat Lübeck vom 23.09.1940 LAS 357.3 Nr. 1687
- Auszug aus den Zugangslisten des Konzentrationslagers Sachsenhausen, Blatt 393: Liste der Zugänge vom 30.09.1940 unter Nr. 9: Krohn, Wilhelm 19.04.75 33229 Sch.
- Auszug aus den Transportlisten des Konzentrationslagers Sachsenhausen vom 30.09.1940.
- Sterbebuch Nr. 4051/1940, ausgestellt vom Standesamt Oranienburg am 2. Dezember 1940, (Abschrift vom 15. September 1948.)
- Totenliste (Urnensammelgrab) des Friedhofs Berlin-Altglienicke
- Schreiben der Hansestadt Lübeck vom 28.02.2008 und 31.03.2008.
Christian Rathmer, 2012