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Roeckstraße 19a - Nathan "Walter" Engel

Von April 1907 bis zum Juli 1942, also 35 Jahre lang, war in der Roeckstraße 19a das Zuhause des Kaufmanns Nathan Engel, der sich Walter Engel nannte.

Villa Roeckstraße 19a, Aufnahme 2014 Heidemarie Kugler-Weiemann
Villa Roeckstraße 19a, Aufnahme 2014 Heidemarie Kugler-Weiemann

In Widminnen in Ostpreußen wurde Nathan Engel am 26. Oktober 1858 geboren als eines von zwölf Kindern des jüdischen Kaufmanns Samuel Engel und seiner Frau Berta. Dort auf dem Lande wuchs er mit seinen Geschwistern auf, darunter Bruder Hermann und die Schwestern Klara, Elsa, Franziska und Therese. Mehr lässt sich über seine Kindheit und Jugend, seinen Schulbesuch und seine Ausbildung nicht sagen.

Von 1884 bis 1887 war Nathan Engel erstmals in Lübeck gemeldet und wohnte in der Sandstraße 19. In dieser Zeit dürfte der 26 jährige Kaufmann seine spätere Frau kennengelernt haben.

Ida Emilie Jakobine Engel, geborene Eisenblätter war am 24.9.1859 in Lübeck geboren und stammte aus einer evangelisch-lutherischen Familie. Ihre Eltern waren Friedrich Karl Gottfried Eisenblätter und Josephine Sorora Eisenblätter, geborene Hubert. Sie hatte zwei ältere Schwestern: Dorothea Frieda Albertine war 1840 geboren, Marie Henriette Albertine 1856. Die Familie wohnte lange in der Engelsgrube, später in der Fischergrube 66. 

Johannistraße 15 / heute: Dr. Julius-Leber-Straße 15, Helga Emeis-Schwarz (Urenkelin Nathan Engels) mit ihrem Mann und ihrer Nichte (Ur-Urenkelin) am 9. September 2014, Aufnahme Heidemarie Kugler-Weiemann
Johannistraße 15 / heute: Dr. Julius-Leber-Straße 15, Helga Emeis-Schwarz (Urenkelin Nathan Engels) mit ihrem Mann und ihrer Nichte (Ur-Urenkelin) am 9. September 2014, Aufnahme Heidemarie Kugler-Weiemann

Am 29. Dezember 1887 fand die Hochzeit von Nathan und Ida Engel in Lübeck statt. Trauzeugen waren der 44 Jahre alte Töpfermeister Robert Jacob Ludwig Gieth aus der Fischergrube 15  und der 43jährige Tischlermeister Julius Christopher Claudius Schott aus der Beckergrube 43.  
Welche Beziehung diese beiden Männer zum Brautpaar hatten, lässt sich nicht sagen, ebenso wenig ob das junge Paar seine Heirat gegen Widerstände aus den Familien durchsetzen musste und wie die Hochzeit begangen wurde.
Mit der Heirat zog das junge Ehepaar nach Hagen, wo am 18. November 1888 ihr einziges Kind, der Sohn Bruno geboren wurde. Ida Engels Eltern und ihre beiden Schwestern meldeten sich ebenfalls aus Lübeck nach Haspe ab, zogen also einen Stadtteil Hagens, um in der Nähe der jungen Familie zu sein.  
Wie lange die Familien Engel und Eisenblätter tatsächlich in Hagen blieben, ließ sich nicht herausfinden. Spätestens nach der Grundschulzeit Bruno Engels fand der Umzug der gesamten Familie nach Wilhelmshaven statt. Dort besuchte er das Gymnasium. Ein weiterer Umzug nach Berlin folgte, wo Bruno Engel Schüler des Königstädtischen Gymnasiums wurde. Ein weiteres Mal musste er die Schule wechseln, als sein Vater 1906 Direktor der Lübecker Wach- und Schließgesellschaft wurde, die von einem Kölner Verband betrieben wurde und ihren Sitz in der Johannistraße 15 hatte.

Reifezeugnis Seite 1,Archiv der Hansestadt Lübeck,Schulen, Katharineum
Reifezeugnis Seite 1,Archiv der Hansestadt Lübeck,Schulen, Katharineum
Reifezeugnis Seite 2
Reifezeugnis Seite 2
Reifezeugnis Seite 3
Reifezeugnis Seite 3

In Lübeck war Bruno Engel Schüler des Katharineum und legte dort 1908 am altsprachlichen humanistischen Gymnasium sein Abitur ab.

Zunächst wohnte die Familie in der Königstraße 87, doch schon bald konnte die Villa in der Roeckstraße 19a von ihrem Erstbesitzer Julius Hintz erworben werden, der sie 1898 hatte erbauen lassen. Am 3. April 1907 wurde das neue Zuhause bezogen. Walter und Ida Engel bewohnten mit ihrem Sohn die Wohnung im Erdgeschoss, im ersten Stock wohnten „Tante Tine und Mieke“, die Schwestern von Ida Engel, die Idas Familie von Hagen nach Wilhelmshaven, von dort nach Berlin und schließlich nach Lübeck gefolgt waren, während die Eltern bzw. Großeltern in Wilhelmshaven geblieben waren. Die beiden unverheirateten Frauen sollen ein kleines Geschäft für Handarbeiten gehabt haben und von ihrem Schwager finanziell unterstützt worden sein.

Sohn Bruno hatte inzwischen das Jurastudium in Kiel aufgenommen, so dass Walter und Ida Engel zumeist allein in ihrer Wohnung im Erdgeschoss lebten. Wie ihr Leben aussah, darüber ist wenig zu sagen. Lebten sie eher zurückgezogen oder hatten sie viele gesellschaftliche Kontakte in der Stadt? Machten sie gern Spaziergänge im Stadtpark oder an der Wakenitz? Besuchten sie das Theater oder gingen in Konzerte?

Eng war der Kontakt zum einzigen Sohn. Sicher erfüllte es die Eltern mit großem Stolz, dass er sein Studium in Kiel und Berlin erfolgreich absolvierte und als Jurist promovierte. 1917 besuchte das Ehepaar zusammen mit dem Sohn eine befreundete Familie in Hamburg. Bei diesem Anlass lernte Bruno Engel Anna Redderoth  aus Hannover kennen, die in Hamburg bei der Familie Prüfer lernen sollte, einen Haushalt zu führen. Nach ihrer Hochzeit lebten Anna und Bruno Engel zunächst in Kiel, wo der promovierte Jurist eine Stelle in der Verwaltung inne hatte, und ab 1921 in Flensburg, wo er in einer Anwaltspraxis arbeitete. In Kiel wurde 1919 Gisela geboren, in Flensburg 1921 Gerda.

1922 starb Ida Engels älteste Schwester Dorothea Frieda Albertine; Marie Henriette war bereits 1919 verstorben.

1922 beantragten Walter und Ida Engel beim Lübecker Amtsgericht die Eintragung der Firma „Lübecker Wach- und Schließgesellschaft Engel & Co“ als offene Handelsgesellschaft, führten also die bisherige Lübecker Wach- und Schließgesellschaft eines Kölner Verbandes in eigener Regie weiter. Wie  ihr Mann war auch Ida Engel zur Vertretung der Gesellschaft allein berechtigt.
Die Geschäftsräume befanden sich weiterhin im ersten Stock in der Johannistraße 15, der heutigen Dr. Julius-Leber-Straße.

Briefkopf der Firma von Walter und Ida Engel 1922, Archiv der Hansestadt Lübeck, Amtsgericht Handelsregister A
Briefkopf der Firma von Walter und Ida Engel 1922, Archiv der Hansestadt Lübeck, Amtsgericht Handelsregister A
Veröffentlichung der Eintragung ins Handelsregister vom 10.8.1922
Veröffentlichung der Eintragung ins Handelsregister vom 10.8.1922

Die Besuche ihres Sohnes mit seiner Familie in Lübeck dürften Ida und Walter Engel ebenso genossen haben wie Reisen zu Kindern und Enkelinnen in Flensburg. Einige Fotos ( aus Familienbesitz ) zeigen das Ehepaar mit den Enkeltöchtern im Garten der Roeckstraße.

Enkelin Gisela erinnerte sich später an die Großeltern:  
„Nun einige Worte zu unserer Großmutter Ida, geb. Eisenblätter, geboren am 24.9.1859 in Lübeck. Sie soll sehr hübsch gewesen sein, was man ihr im Alter noch ansah. Schwierig war es bei ihr mit dem Essen. Wenn die Großeltern Weihnachten bei uns waren, mußte für sie stets extra gekocht werden, weil sie nichts aß, was aus dem Wasser kam (Karpfen) und nichts, was durch die Luft geflogen war (Geflügel). Außerdem hatte sie eine Angewohnheit, die uns innerlich schmunzeln ließ. Konnte sie bei Tisch irgendetwas nicht erreichen, so stand sie stumm auf, um es sich von der anderen Seite zu holen. Die Großeltern hatten einen Riesenappetit, offenbar bekam Oma aber nicht genug, denn sie erzählte ihren Freunden in Lübeck, daß sie in Flensburg nicht satt würde. Sie war aber stets freundlich. Unser Opa, immer vergnügt, las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Er hielt sich im übrigen keineswegs an die jüdischen Sitten, weder bei den Eßgewohnheiten noch in religiöser Hinsicht. Das war in seiner Verwandtschaft anders. Deshalb fühlte unsere Mutter sich immer etwas fremd in diesem Kreis, kam aber sehr selten dorthin.“ (S.6)

Mehrere Geschwister Walter Engels lebten mittlerweile mit ihren Familien in Berlin, so sein Bruder Hermann und die Schwestern Franziska und Elsa (oder Elma).

Im Oktober 1931 machte der renommierte Lübecker Fotograf Robert Mohrmann, der sein Atelier in der Sandstraße 19 hatte, eine Porträtaufnahme von Nathan Engel.

Walter Engel in seinem Büro, Aufnahme von Robert Mohrmann, 1931, Fotoarchiv Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck
Walter Engel in seinem Büro, Aufnahme von Robert Mohrmann, 1931, Fotoarchiv Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck

Das Foto zeigt Nathan Engel im Alter von 73 Jahren. Das Bild des Inhabers der Lübecker Wach- und Schließgesellschaft sollte Teil einer umfangreichen Fotoserie von Persönlichkeiten der Stadt werden.

Die Lübecker Wach- und Schließgesellschaft Engel & Co hatte inzwischen eine Konkurrenz bekommen durch die „Wachbereitschaft Lübecker Wacht“ des Volkswirts Kurt Kleinfeldt. An ihn verkauften Ida und Walter Engel ihre Firma Ende 1933. Sie waren inzwischen 75 und 74 Jahre alt, also weit im Rentenalter, und hatten sicher schon länger darüber nachgedacht, sich zur Ruhe zu setzen. Die Schwierigkeiten, sich angesichts der offiziellen antisemitischen Politik weiter gegen die Konkurrenz zu behaupten, dürfte ihre Entscheidung beschleunigt haben. Bis heute führen die Nachfahren Kurt Kleinfeldts die Lübecker Wach- und Schließgesellschaft.

Titel der Akte, Archiv der Hansestadt Lübeck, Amtsgericht Lübeck, Abt. 2, HRA 2230
Titel der Akte, Archiv der Hansestadt Lübeck, Amtsgericht Lübeck, Abt. 2, HRA 2230
Bekanntmachung der Eintragung des Firmenverkaufs im Handelsregister
Bekanntmachung der Eintragung des Firmenverkaufs im Handelsregister

Auch für ihren Sohn entstanden als sog. „Halbjuden“ schnell berufliche Schwierigkeiten. Im Juni 1933 wurde er als Notar entlassen, konnte jedoch noch als Anwalt weiter in seiner Sozietät mit zwei „arischen“ Partnern bleiben.  Ende 1936 allerdings musste er ausscheiden und arbeitete in zwei gemieteten Zimmern unter erheblichen Einschränkungen allein weiter. Tochter Gisela half für ein Taschengeld. Sie hatte das Oberlyzeum bis zur Unterprima besucht und konnte als „Vierteljüdin“ keine Ausbildung machen.

In unmittelbarer Nachbarschaft zu Walter und Ida Engel in der Roeckstraße 21 im zweiten Stock wohnte einer der führenden Nationalsozialisten Lübecks, der Jurist Dr. Hans  Böhmker. Zunächst ab 1930 Richter am Landgericht, wurde dieser 1933 Senator und ab 1937 Leiter des Rechtsamtes der Stadt.

Ganz besonders bedrückend und beschämend müssen die Ereignisse des Jahres 1935 für das Ehepaar Engel gewesen sein. Im „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, das als eines der „Nürnberger Gesetze“ am 15.9.1935 in Kraft trat, heißt es im § 3: „Juden dürfen weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren in ihrem Haushalt nicht beschäftigen.“ Schon seit 1923 wurde der Haushalt des Eheepaars Engel in der Roeckstraße von Hertha Garber versorgt, einer aus Neustadt stammenden jungen Frau, 1905 geboren. Als 18 Jährige hatte sie diese Stelle übernommen, nun war sie dreißig Jahre alt. Nathan Engel und Hertha Garber beantragten beim Polizeiamt ihre Weiterbeschäftigung. Eine Akte der Staatlichen Polizeiverwaltung im Lübecker Archiv spiegelt die dreisten Überprüfungen durch die Gestapo. In der ablehnenden Entscheidung heißt es:  
„Die Prüfung ... hat ergeben, dass der Jude Engel senior noch verhältnismäßig sehr rüstig und die Hausgehilfin ein ansprechendes arisches Mädchen ist. Nach den vorliegenden Beobachtungen besteht Grund zu der sicheren Annahme, dass zwischen Engel und seiner Hausgehilfin zumindest recht gute freundschaftliche Beziehungen bestehen.Diese Annahme wird u.a. dadurch bestärkt, dass die Antragstellerin außerordentlich gut gekleidet ist. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass sich der 47 jährige Sohn des Dienstherrn oft längere Zeit besuchsweise bei seinen Eltern aufhält und alsdann zur Hausgemeinschaft gehört. Wenn man weiterhin in Betracht zieht, dass die Antragstellerin erst 30 Jahre alt ist, ist die Frage, ob eine Gefährdung des deutschen Blutes vorliegt, uneingeschränkt zu bejahen....“

Archiv der Hansestadt Lübeck, Statliche Polizeiverwaltung 119
Archiv der Hansestadt Lübeck, Statliche Polizeiverwaltung 119

Die Rente Nathan Engels, die ihm durch Einlagen bei einer Versicherung zustand, wurde inzwischen an das Deutsche Reich gezahlt, eine Folge zahlreicher gesetzlicher Bestimmungen, die Ende 1938 erlassen wurden, alle eine „Judenvermögensabgabe“ , die „Verhinderung jüdischer Kapitalflucht“ und die „Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben“ betreffend. So sahen sich Walter und Ida Engel Ende 1938 gezwungen, ihr Haus verkaufen zu müssen – weit unter Wert. Es gelang ihnen immerhin, sich ein lebenslanges Wohnrecht in der Wohnung im ersten Stock zu sichern, das im Grundbuch festgehalten wurde.

Anzunehmen ist, dass auch Ida Engel als „arische“ Ehefrau intensiv bedrängt worden war, sich von ihrem jüdischen Ehemann loszusagen. Doch sie hielt zu ihm.

In den Erinnerungen ihrer Enkelin Gisela heißt es:
„Am 31. 10.1940 starb unsere Großmutter, was uns sehr bedrückte und beunruhigte, da unser Opa jetzt keine arische Frau mehr hatte, die ihn durch ihr bloßes Dasein wohl ein wenig vor schlimmen Maßnahmen geschützt hatte.“
Das gemeinsame Testament von Ida und Nathan Engel hatte vorgesehen, dass sie im Falle seines Todes zunächst Alleinerbin werden sollte, im nun eingetretenen Fall ihres Todes wurde der Sohn Alleinerbe mit der Maßgabe, dass Nathan Engel lebenslängliche Nutznießung des Nachlasses zustehe.
Diese vorausschauende Sicherung hatten sie Anfang 1940 festgelegt, möglicherweise war zu diesem Zeitpunkt bereits eine schwere Erkrankung Ida Engels erkennbar.  

Von der Deportation der meisten noch in Lübeck lebenden Juden Anfang Dezember 1941 nach Riga blieb Nathan Engel noch verschont, musste aber viele weitere gesetzliche Einschränkungen seines Lebens erleben. Hart dürfte ihn die Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden vom 1.9.1941 getroffen haben, die auch ihn zwang, in der Öffentlichkeit den „Judenstern“ an seiner Kleidung zu tragen. Seine Enkelin Gisela erinnerte sich: „Als Opa einmal vier Wochen lang bei uns in Flensburg war, hat er es gewagt, ohne dieses „Schandmal“ herumzulaufen.“

Im Sommer 1942 erhielt Nathan Engel den „Evakuierungsbescheid“. Offiziell war die Rede von einer „Wohnsitzverlegung“ und Unterbringung in einem „Altersheim in Böhmen“, und möglicherweise musste er wie viele andere für diese „Heimunterbringung“ Geld im voraus zahlen. Seine Enkelin behielt den Moment in deutlicher Erinnerung:
„Als ich eines Tages nach Hause kam, es muss im Sommer 1942 gewesen sein, fand ich meine Mutter bitterlich weinend vor. Es war die Nachricht gekommen, dass unser Großvater nach Theresienstadt deportiert werden sollte. Wie Vater erfuhr (ob bei der Gestapo?), sollte Theresienstadt ein ganz bevorzugter Ort sein, in den die Intelligenz gebracht wurde. Angeblich war dort alles gut. Er durfte (oder musste) außer einigen Habseligkeiten auch sein Federbett mitnehmen....
Nun musste unser so sensibler Vater den schweren Gang nach Lübeck tun, um sich für immer von seinem Vater zu verabschieden. Er hatte Schlaftabletten eingesteckt für eine einigermaßen gute Nachtruhe. Später hat er uns erzählt, dass er sehr mit sich gekämpft habe, ob er seinem Vater mit Tabletten das schwere Schicksal ersparen sollte. Es siegte dann aber wohl die Rücksicht auf seine eigene Familie. Was muss unser Vater durchgemacht haben.
Unser Opa war nun für uns verschwunden. Aber nach einiger Zeit bekamen wir eine Nachricht von der Versicherung, die die Leibrente unseres Großvaters an das Deutsche Reich hat zahlen müssen (…), dass Herr Nathan Engel am 30.10.1942 in Theresienstadt gestorben sei. Sogar eine Sterbeurkunde lag dem Schreiben bei (…). Nun wussten wir wenigstens, dass unser Opa erlöst war, von seinem Leiden wussten wir nichts. Er war nämlich für sein Alter sehr gesund und rüstig und ein stets vergnügter Mensch...“

Todesfallanzeige aus dem Ghetto Theresienstadt, www.holocaust.cz
Todesfallanzeige aus dem Ghetto Theresienstadt, www.holocaust.cz

„Es waren vor allem alte Menschen, die in diesen Monaten aus Deutschland nach Theresienstadt kamen. Mehr als die Hälfte war über 65 Jahre alt. Sie kamen in plombierten Waggons auf dem Bahnhof in Bohušovice an, waren bis zu 20 Stunden unterwegs gewesen und schleppten sich mit ihrem 50 Kg Gepäck mit letzter Kraft die 4 Km lange Straße entlang nach Theresienstadt. Beim Öffnen der Waggons fielen viele schon halb ohnmächtig heraus, Tote und Sterbende blieben in den Waggons zurück.
Ein Transport kam nach dem anderen. Niemand wußte, wo all diese Menschen untergebracht werden sollten, denn das Ghetto war völlig überfüllt, der Ältestenrat und die Hilfsdienste völlig überfordert. Die Lebensmittelrationen nahmen stetig ab und die Sterberate stieg. Im Juni 1942 waren alle Kasernen überfüllt, im Juli reichten die vorhandenen Gebäude nicht mehr aus. Die Menschen wurden in unterirdischen Kasematten, auf Höfen, Hauseingängen und auf Dachböden untergebracht.“

(Opens external link in new windowhttp://www.ghetto-theresienstadt.info/terezinghetto.htm#alte)

Fast vier Monate ertrug Walter Engel dieses Elend in Dreck, Hitze und Kälte und litt Hunger. Die Todesfallanzeige nennt Marasmus senilis und Altersschwäche als Ursachen seines Todes: Er musste verhungern und verdursten.

Die Todesfallanzeige Walter Engels lässt erkennen, dass er dort mit einigen seiner Geschwister zusammen getroffen ist, was sicher ein Halt für den 84 Jährigen gewesen ist. Seine Schwestern Franziska, Klara, Elsa (Elma) und Therese sowie sein Bruder Hermann kamen ebenfalls in Theresienstadt ums Leben.

Todesfallanzeige Franziska Storch, www.holocaust.cz
Todesfallanzeige Franziska Storch, www.holocaust.cz

Bruno Engel, seine Frau und seine beiden Töchter überstanden die Jahre des NS-Regimes unter vielen Schwierigkeiten und Schikanen.  

Verzeichnis der Quellen außerhalb der Standardfachliteratur:

  • Adressbücher, Meldekartei und Telefonbuch 1928 der Hansestadt Lübeck
  • Archiv der Hansestadt Lübeck, Staatliche Polizeiverwaltung 109, 110, 119, 124, 130, 131; Amtsgericht Lübeck, Abt. 2, HRA 2230; Abt. IIa, IV 542/40 Testamente; Grundbuch Bd. 14, Blatt 420; Schulen, Katharineum
  • Auskünfte Familie Emeis, 2014
  • Bundesarchiv: Gedenkbuch, Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945,
    www.bundesarchiv.de/gedenkbuch
  • Engel, Gisela: Geschichte der Familie Engel, unveröffentlicht, Flensburg 1990
  • Goldberg, Bettina, Abseits der Metropolen, Die jüdische Minderheit in Schleswig-Holstein, Neumünster 2011
    dies. unter Mitarbeit von Bernd Philipsen: Juden in Flensburg, Flensburg 2006
  • JSHD Forschungsgruppe "Juden in Schleswig-Holstein" an der Universität Flensburg, Datenpool (Erich Koch)
  • Lübecker Wachunternehmen Dr. Kurt Kleinfeldt GmbH
    www.luebecker-wachunternehmen.de/geschichte
  • Memorbuch zum Gedenken an die jüdischen, in der Schoa umgekommenen Schleswig-Holsteiner und Schleswig-Holsteinerinnen, hrsg. v. Miriam Gillis-Carlebach, Hamburg 1996
    Sinner, Karl-Ernst: Tradition und Fortschritt, Senat und Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck 1918-2007, Lübeck 2008
  • Theresienstadt: Datenbank der Opfer: www.holocaust,cz
    Theresienstädter Gedenkbuch, Prag 1995 und 2000
  • Walk, Joseph (Hrsg.): Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, Heidelberg 1996, 2. Auflage
  • Website: Opens external link in new windowwww.ghetto-theresienstadt.info
  • Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims’ Names