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Marlesgrube 52 - Familie Langsner

In der Marlesgrube 52 wohnte Baruch Langsner mit seiner Frau Laura Feige und zwei Töchtern Sophie Minna und Amalie Malka.

FOTO: Marlesgrube 52, H.K-W 2014
FOTO: Marlesgrube 52, H.K-W 2014

Baruch Langsner stammte aus Nadwarna in Galizien, wurde dort am 9. August 1873 geboren.

KARTE von Galizien
KARTE von Galizien

Für die Tochter Amalie Malka liegt seit dem 8.Mai 2012 ein weiterer Stolperstein beim ehemaligen Heim Vorwerk:
Triftstraße 139

In erster Ehe war er mit Golde, geborene Ast (Jahrgang 1880) verheiratet, doch kurz nach der Geburt ihres Sohnes Juda Hersch am 5. Januar 1903 heiratete er am 31. Mai 1903 erneut in Brzezany, ebenfalls in Galizien gelegen. Seine zweite Frau war Laura Feige Jenge Liebe, geborene Freibig; sie war am 15. September 1882 im polnischen Potokypoty geboren. 

Schon ab 1898 war der Händler und Kaufmann Baruch Langsner in Lübeck gemeldet. Seine Frau folgte ihm mit der Tochter Amalie Malka, die am 30. November 1901 in Brzezany zur Welt gekommen war, also lange vor der Eheschließung und vor der Geburt des Sohnes aus Baruch Langsners erster Ehe. Sophie Minna wurde in Lübeck geboren, am 7. Februar 1907.

Langsners Geschäfte müssen teilweise erfolgreich gelaufen sein, denn 1921 konnte er das Haus Marlesgrube 52 erwerben, und ihm gehörten zusammen mit seiner Frau neun weitere Grundstücke und Häuser in Lübeck, u.a. in der Hundestraße 20. Gleichzeitig geriet Baruch Langsner häufig mit dem Gesetz in Konflikt: Etliche Verurteilungen hauptsächlich wegen Übertretung der Gewerbeordnung, wegen eines Konkursvergehens, aber auch wegen illegaler Wetten und Körperverletzung sowie überhöhter Mieten ließen ein langes Register an Strafen zusammenkommen.

Bereits 1912 war eine Ausweisungsverfügung gegen ihn erlassen, die jedoch zurückgezogen wurde. Unter der Voraussetzung "einwandfreien Verhaltens" wurde ihm der weitere Aufenthalt erlaubt.

Während des Ersten Weltkriegs war Baruch Langsner zwei Jahre Frontsoldat.

 

Ab 1933 geriet er schnell ins Visier der Nationalsozialisten. Sein Geschäft war betroffen von Boykottmaßnahmen, und am 24. Mai 1935 wurde er wegen "Rassenschande" verhaftet, weil er ein Gespräch mit einer jungen Lübeckerin begonnen hatte, die auf der Straße für den Deutschen Caritasverband sammelte. Langsner wurde von SA-Leuten abgeholt, in einen kleinen Handwagen gesetzt und durch die Straßen gezogen, ehe man ihn bei der Geheimen Staatspolizei ablieferte. Über den Prozess Anfang Oktober 1935 berichteten die Zeitungen in ausführlichen Artikeln. 

DOKUMENT: Artikel des Volksboten vom 10. Oktober 1935
DOKUMENT: Artikel des Volksboten vom 10. Oktober 1935

"Der Stürmer" bezeichnete Baruch Langsner als "übel beleumundete Erscheinung"  und das "Scheusal von Lübeck". Langsner wurde zu vier Monaten Gefängnis verurteilt, gleichzeitig wurde seine sofortige Ausweisung verfügt und vollzogen.

Sein weiterer Aufenthalt in Polen lässt sich über Kattowice und Sosnowiec bis Lodz verfolgen, dort verliert sich die Spur. Er soll am 7.2.1942 ums Leben gekommen sein.

 

Laura Langsner führte nach der Verhaftung ihres Mannes den Altwarenhandel in der Marlesgrube fort, so gut es ging. Sie und ihre beiden Töchter gehörten zu jenen jüdischen Menschen mit polnischer Staatsangehörigkeit, die Ende Oktober 1938 mit der sogenannten Polenaktion abgeschoben werden sollten. Der Lübecker Zug wurde dann aber in Berlin gestoppt und zurückgeschickt. 

 

 

DOKUMENT:„Polenaktion“, Archiv der Hansestadt Lübeck, Staatliche Polizeiverwaltung 25
DOKUMENT:„Polenaktion“, Archiv der Hansestadt Lübeck, Staatliche Polizeiverwaltung 25

Im Dezember 1938 wurde Laura Langsner gezwungen, den Laden zu schließen.

In den folgenden Monaten wurden sie und ihre jüngere Tochter wiederholt zur Gestapo vorgeladen und zur Ausreise aus Deutschland gedrängt. Die Bemühungen um eine Auswanderung blieben erfolglos. Eine kurze Notiz in einem Brief zweier jüdischer Frauen aus dem Nachbarhaus an Verwandte in Shanghai sagt darüber: "Sofie L. ist mit der Prüfung durchgefallen u. muss 6 Wochen einen Kursus machen. Sie hat es abgelehnt u. wird wohl keine Aussicht auf ein Permit haben." (S.61, Brief vom 21. August 1939) Vermutlich hatte Sophie Langsner die Abschlussprüfung eines "Umschichtungskurses" (Hachschara) für die Einwanderung nach Palästina nicht bestanden. Sie hätte einen weiteren Kurs für eine Arbeitserlaubnis in England absolvieren müssen. In den Vermerken der Polizei wird das bestätigt: "Die Tochter Sophie versucht, als Hausangestellte die Einwanderungs-Erlaubnis nach England zu bekommen und denkt daran, sobald sie festen Fuß gefasst hat, ihre Mutter nachkommen zu lassen." (24.6.1939) Mit dem Ausbruch des Krieges wurden diese Überlegungen hinfällig.

 

Die ältere Tochter Amalie Malka (Jahrgang 1901) war wegen ihrer geistigen Behinderung im Heim Vorwerk untergebracht und wurde von dort im September 1940 über Hamburg in die Landesanstalt Brandenburg eingewiesen und am Tag ihrer Ankunft, dem 23.9.1940, in einer Gaskammer ermordet.

 

Laura Feige Langsner und Sophie Minna wurden am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert und dort ermordet. Sie waren zu diesem Zeitpunkt 59 und 34 Jahre alt. Es ist nicht bekannt, ob sie bereits während der ersten Wintermonate im Lager Jungfernhof ihr Leben verloren, ob sie zu den vielen Opfern der beiden Massenerschießungen im Februar und März 1942 im Bikerniekiwald gehören oder ob sie zunächst als arbeitsfähig eingestuft Zwangsarbeit zu leisten hatten und später ermordet wurden. 

Verzeichnis der Quellen außerhalb der Standardfachliteratur:

  • Adressbücher, Meldekartei und Sterberegister der Hansestadt Lübeck
  • Archiv der Hansestadt Lübeck, Staatliche Polizeiverwaltung 8, 25, 109, 110, 125,         130; Neues Senatsarchiv NSA XXII, 14c
  • Datenpool JSHD der Forschungsstelle “Juden in Schleswig-Holstein” an der Universität Flensburg
  • "Hoffentlich klappt alles zum Guten...", Die Briefe der jüdischen Schwestern Bertha und Dora Lexandrowitz, bearbeitet und kommentiert von Heidemarie Kugler-Weiemann und Hella Peperkorn, Neumünster 2000
  • Lübecker Volksbote, 1935
  • Memorbuch zum Gedenken an die jüdischen, in der Schoa umgekommenen Schleswig-Holsteiner und Schleswig-Holsteinerinnen, hrsg. V. Miriam Gillis-Carlebach, Hamburg 1996
  • Albrecht Schreiber, Zwischen Davidstern und Doppeladler, Illustrierte Chronik der Juden in Moisling und Lübeck, Lübeck 1992
  • Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims’ Names 

 

 

Heidemarie Kugler-Weiemann