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In der Marlesgrube 22 wohnte Franz Neitzke.

Marlesgrube 22 (Jahr unbekannt) [1]
Marlesgrube 22 (Jahr unbekannt) [1]

Hier, in der Marlesgrube 22 stand das ehemalige Wohnhaus der Familie Franz Neitzke. Im Erdgeschoß befand sich die Gaststätte Jaede`s Hotel und Restaurant, Die Wohnung befand sich im IV. Stock.
(Anmerkung: Das hier abgebildete Haus Marlesgrube 22 mit dem Gasthof "Zum Holsteinischen Hause" wurde 1904 niedergelegt.)

Franz Stephan Paul Neitzke wurde am 15.11.1893 in Stolp in Pommern, im heutigen Polen geboren. Er war konfessionslos. Im Frühjahr 1900 wurde er eingeschult. Nach dem Besuch der Volksschule kam er Mitte 1909 nach Lübeck und machte dort eine Schneiderlehre. Nach Abschluss seiner Lehre hielt er sich für ein halbes Jahr in Berlin auf. Seit dem Frühjahr 1913 war er wieder in Lübeck. Dort wechselte er in den kommenden zwei Jahren sehr häufig seine Wohnungen.

Am 29.08.1914 wurde er zur Marine eingezogen. Er kam in Bremerhaven auf das Großkampfschiff „Prinz Albert“. Im Mai 1916 lief die „Prinz Albert“ in Bremerhaven aus, um an der Seeschlacht am Skagerrak gegen die britische Flotte teilzunehmen. Auf der Fahrt dorthin ereignete sich im Maschinenraum durch einen defekten Kondensator eine Kesselexplosion. Franz Neitzke wurde an den Beinen schwer verletzt und kam in ein Lazarett in Berlin, wo er bis zu seiner Genesung zwei Jahre verbrachte. Er hatte mehrere komplizierte Knochenbrüche erlitten und zahlreiche Operationen durchzumachen. Auf Grund dieser Verletzungen war er fortan stark gehbehindert und wurde mit 25 Jahren zum Frühinvaliden.

Gegen Ende des 1. Weltkrieges, Anfang November 1918, war er am „Matrosenaufstand“ in Kiel beteiligt. Er war unter anderem daran beteiligt, vom Militär gehortete Lebensmittelreserven an die hungernde Bevölkerung zu verteilen.

Nach seiner Militärzeit, am 25. Februar 1919, kam er zurück nach Lübeck. Dort wohnte er zunächst bei seinen Eltern in der Hundestraße 53, seit 1922 in der Marlesgrube 22.
Seine erste Frau, Henny Asmussen starb bereits 1932 im Alter von nur 36 Jahren.
1933 heiratete er seine zweite Frau, die 16 Jahre jüngere Gertrud Singelmann. Die 23-jährige verdiente ihr Geld in der Gaststätte Jaede, die sich im Erdgeschoss ihres Wohnhauses befand. Am 29. Januar 1935 kam ihr Sohn Jonny zur Welt.

Franz Neitzke war aktives Mitglied im kommunistischen Arbeiterwiderstand im Lübecker Hafen. Er war seit 1920 als Parteifunktionär politisch aktiv in der KPD und im Roter Frontkämpferbund und war Mitglied in einem Musikorchester. Auch war er wieder als Schneider tätig, um sich ein Zubrot zu seiner kleinen Invalidenrente zu verdienen. Schon während dieser Zeit stand er unter polizeilicher Beobachtung.

Franz Neitzke als Musiker in Parteiuniform (Jahr unbekannt [3]
Franz Neitzke als Musiker in Parteiuniform (Jahr unbekannt [3]

Das Foto zeigt Franz Neitzke in jungen Jahren als Musiker in Parteiuniform.
Das Bild wäre fast bei dem Versuch vernichtet worden, es von einem anderen wichtigeren Bild zu trennen, mit dem es, wenn man dem Text auf dem Foto folgt, offenbar mit Eiweiß zusammengeklebt war.

 

Ende 1935 wurde er nach einer politischen Demonstration – zusammen mit etwa 250 weiteren Gesinnungsgenossen - von der Gestapo verhaftet. Er kam zunächst ins Marstallgefängnis am Burgtor in Untersuchungshaft. Es erfolgten zahlreiche brutale Verhöre in den Kellern des Gestapo-Hauptquartiers im alten Zeughaus am Dom.

Überführungsanweisung der Staatspolizei Bremen [4]
Überführungsanweisung der Staatspolizei Bremen [4]

Im April 1936 wurde er vom Hanseatischen Oberlandesgericht zu vier Jahren Zuchthaus mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Nach Verbüßung der Haft wurde er auf Anordnung der Staatspolizeistelle Bremen am 13.04.1940 zunächst aus dem Zuchthaus Bremen-Ostertor in die Strafanstalt Kiel überführt.

Gefangenenkarte der Strafanstalt Kiel [5]
Gefangenenkarte der Strafanstalt Kiel [5]

Von dort verlegte die Gestapo ihn am 23. April 1940 in das Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg. Dort wurde er am 9. Mai 1940 als Zugang mit der Häftlings-Nummer 19717 registriert.
Dort starb er am 1. August 1943 um 00:30 Uhr im Alter von nur 49 Jahren.

Seine Frau hatte bereits während seiner Haftzeit die Scheidung eingereicht, die am 20.8.1940 rechtsgültig wurde. Sein Sohn hat ihn nie kennen gelernt. Erst zur Verlegung dieses Stolpersteines erfuhr der mittlerweile 75-jährige, dass sein Vater ein bedeutender  Widerstandskämpfer war.

Verzeichnis der Quellen außerhalb der Standardfachliteratur:

  • Imberger, Elke: Widerstand von "unten". Widerstand und Dissenz aus den Reihen der Arbeiterbewegung und der Zeugen Jehovas in Lübeck und Schleswig-Holstein 1933 - 1945, Neumünster 1991
  • Petrowsky, Werner und Arbeitskreis „Geschichte der Lübecker Arbeiterbewegung“:

    • Lübeck - Eine andere Geschichte. Einblick in Widerstand und Verfolgung in Lübeck 1933-1945
    • Alternativer Stadtführer zu den Stätten der Lübecker Arbeiterbewegung, des Widerstandes und der nationalsozialistischen Verfolgung, hrsg. vom Zentrum, Jugendamt der Hansestadt Lübeck, Lübeck 1986

  • Lübeck unterm Hakenkreuz. Wegweiser zu den Stätten des Widerstandes und der Verfolgung in Lübeck 1933 - 1945 von Marianne und Günther Wilke, hrsg. von der Vereinigung der Verfolgten des Nationalsozialismus – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), o.O., o.J. (Lübeck 2008)

Christian Rathmer, 2010