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In der Klosterstraße 5 wohnte Betty Ohmann, geb. Giesen.

 

 

In ihrem Haus in der Klosterstraße Nr. 5 lebte Betty Ohmann von 1898 an bis zu ihrer Deportation im Jahre l942, viele Jahre mit der Familie, später mit ihrem Mann und schließlich allein als Witwe.

 

 

Klosterstraße 5 Heidemarie Kugler-Weiemann 2013
Klosterstraße 5 Heidemarie Kugler-Weiemann 2013

Betty Ohmann wurde am 8. November 1864 als Tochter von Ricka 

Giesen (geb. Pflaum) und Ludwig Giesen in Berlin geboren. Ihr Vater war Kaufmann. Über Bettys Kindheit und Jugend in Berlin lässt sich nichts weiter sagen, und es ist auch nicht bekannt, wann und wo sie ihren späteren Ehemann kennen lernte. Im Mai 1885 heiratete die 22 Jährige Carl Heinrich Georg Ohmann aus dem schlesischen Liegnitz.

Heiratsurkunde Familienbesitz
Heiratsurkunde Familienbesitz

Die Hochzeit fand in Ludwigslust statt (Mecklenburg-Vorpommern), wo Carl Ohmann als Buchhändler arbeitete. Carl (häufig auch Karl geschrieben) Ohmann war 1854 geboren, also fast zehn Jahre älter als Betty, und er war kein Jude. Das Ehepaar zog nach Hamburg und lebte dort bis 1898.

Drei Töchter wurden in diesen Jahren in Hamburg geboren: 1886 Margarete Henriette Friederike Emma, 1887 Else Luise Theodora Martha und 1890 Luise Frieda Charlotte. 

Als die fünfköpfige Familie 1898 nach Lübeck zog, wohnte sie zuerst in der Körnerstraße und dann im eigenen neu gebauten Haus in der Klosterstraße Nr. 5. 

1899 trat Carl Ohmann der Gemeinnützigen Gesellschaft als neues Mitglied bei, wie die Lübeckischen Blätter vermeldeten. 

Bereits während der Zeit in Hamburg hatte sich Betty Ohmann als Schriftstellerin einen Künstlernamen zugelegt: Ella von Kronburg. Unter diesem Namen und zusammen mit ihrem Mann, der inzwischen als Verleger und Redakteur tätig war, arbeitete sie ungefähr ein Jahr lang für die Hamburger Hausfrauenzeitung (1890/91). Im „Lexikon deutscher Frauen der Feder“ von 1898 wird Ella von Kronburg erwähnt als Verfasserin von Beiträgen für „die praktische Zeitschrift“  –  „für den Sprechsaal für Frauen“. Ob sie Tipps für den Haushalt, Kochrezepte, Erziehungsratschläge, vielleicht auch Sozialkritisches oder sogar politische Artikel geschrieben hat, ließ sich bislang nicht heraus finden.

„Lexikon Deutscher Frauen der Feder“, Stadtbibliothek Lübeck
„Lexikon Deutscher Frauen der Feder“, Stadtbibliothek Lübeck
Betty Ohmann, Familienbesitz
Betty Ohmann, Familienbesitz

Sicherlich wird Betty Ohmann ihre schriftstellerische Tätigkeit auch in Lübeck fortgesetzt haben, wo ihr Mann eine Literaturagentur betrieb und Feuilletonkorrespondenzen erstellte.Im Lübecker Adressbuch von 1910 lautet der Eintrag:  Ohmann, Carl, Schriftsteller, Büro für die deutsche Presse des In- und Auslandes, Verlag für Deutsch-nordische und die internationalen Spedit,-, Verk.- und Schifffahrts -Zeitungen, Klosterstraße 5; 1923 heißt es im Adressbuch dann: Ohmann, Carl, Schriftsteller, Literarisches Büro f.d. Deutsche Presse des In- und Auslandes, Klosterstraße 5. 

In einer Untersuchung über Literatur-Agenturen jener Zeit findet sich ein Hinweis: "Lübecker Agentur von Carl Ohmann (gegr. 1900) gab über ein halbes Dutzend Feuilleton-Korrespondenzen heraus, u.a. Ohmanns Feuilletonkorrespondenz, Ohmanns Kalendermaterial und Ohmanns Rätselkorrespondenz". Im „Handbuch der Presse“ von J. Kürschner aus dem Jahr 1902 wird Karl Ohmann, Lübeck in einer Tabelle von Feuilletonkorrespondenzen aufgeführt mit dem Hinweis: „Mit populär-medizinischer, naturwissenschaftlicher, Modebrief-, technischer. Haus- und landwirtschaftlicher sowie Rätselkorrespondenz, auch gesondert zu beziehen“. 

Ehepaar Ohmann, Familienbesitz
Ehepaar Ohmann, Familienbesitz

Die drei Töchter hatten mittlerweile geheiratet. Margarete lebte mit ihrem Mann, dem Ingenieur Erich Fischer, und der 1916 geborenen Tochter Christa in Hamburg. Else wohnte mit ihrem Mann, dem Oberlehrer Walter Bruhn, und ihren drei Kindern Karl-August, Inge und Hans-Jürgen in Rostock. Luise, die selbst eine Ausbildung zur Gärtneringehilfin gemacht hatte, wohnte mit ihrem Mann, dem Landwirt  Reinhold Aereboe in Bad Schwartau.  Dieser war ein Sohn des Dompastors Carl Aereboe, der sich inzwischen im Ruhestand befand und auf dem Priwall lebte, und ein Bruder des namhaften Lübecker Künstlers Albert Aereboe. 

Am 3. März 1928 starb Bettys Mann Carl Ohmann im Alter von 74 Jahren. In der Todesanzeige der Familie, die am 6.3.1928 im Lübecker Generalanzeiger veröffentlichte wurde, wird außer den Namen der Witwe und der Kinder mit Emma Ohmann aus Liegnitz auch eine Schwester des Verstorbenen genannt.

Todesanzeige Im Lübecker Generalanzeiger vom 6.3.1928
Todesanzeige Im Lübecker Generalanzeiger vom 6.3.1928

Im selben Jahr 1928 wurde auch Betty Ohmanns Tochter Else Witwe und musste fortan ihre drei Kinder allein groß ziehen. 

Im März 1933 ließ Betty Ohmann ein ausführliches Testament anfertigen, aus dem auch hervor geht, dass der Besitz des Hauses durch die finanzielle Unterstützung ihrer Kinder gesichert war. „In welcher Weise die Zinsen … nach meinem Tode bezahlt werden, überlasse ich meinen Kindern, da ich zur Zeit nicht die derzeitigen Verhältnisse übersehen kann“. Deutlich liest sich die Verunsicherung der nun 69 jährigen Betty Ohmann durch die neuen Machtverhältnisse in Deutschland heraus. 

Auf der alten An- und Ummeldekarte der Familie Ohmann ist ein auffallender rosafarbener Aufkleber mit der Aufschrift: Ehefrau ist Jüdin zu sehen. Dabei hatte sich Betty Ohmann im Jahre 1902 evangelisch-lutherisch taufen lassen. Dompastor Carl Aereboe, der Vater ihres späteren Schwiegersohns, vollzog die Taufzeremonie in seiner Amtsstube.

Taufurkund der Domgemeinde, Familienbesitz
Taufurkund der Domgemeinde, Familienbesitz

Doch die Taufe schützte sie nicht vor der kommenden Diskriminierung, Entrechtung und Verfolgung, und auch ihre Töchter waren als „Mischlinge ersten Grades“ von Ausgrenzung betroffen. So mussten  Luise und Reinhold Aereboe im Oktober 1934 ihren Gartenbaubetrieb in Bad Schwartau zu schließen. Eine andere Beschäftigung konnte die „Halbjüdin“ in Bad Schwartau nicht finden.   

Am 19. Juli 1942 wurde die 79 jährige Betty Ohmann zusammen mit mehreren anderen, zumeist älteren jüdischen Menschen aus Lübeck  über Hamburg nach Theresienstadt deportiert. Der Transport mit insgesamt um die 800 Menschen erhielt in Theresienstadt die Bezeichnung „VI / 2“; mindestens 18 Menschen aus Lübeck sollen dabei gewesen sein.  Offiziell war die Rede von einer „Wohnsitzverlegung“ und Unterbringung in einem „Altersheim in Böhmen“, und möglicherweise hatte Betty Ohmann wie viele andere für diese „Heimunterbringung“ Geld im voraus zahlen müssen. 

Über die ersten Etappe dieses Transports, der Bahnfahrt von Lübeck nach Hamburg in einem Personenwagen, gibt es einen kurzen Bericht, welchen die Tochter von Frieda Dieber, einer weiteren Deportierten, wenige Tage nach dem Abtransport auf einer Postkarte erhielt. Hier heißt es: „Sie werden sich wundern, von einer Fremden Post zu bekommen. Ich bin die Nichte von Frau Mansbacher und bin mit Ihrer Mutter zusammen im Abteil bis Hamburg gefahren. Da möchte ich Ihnen gern erzählen, dass die Reise bis Hamburg besonders gut verlaufen ist. Ihre Mutter war, wie alle andern Damen, recht guter Stimmung. Sie fühlte sich sofort heimisch in dem Kreis von Frau Bröll, Frau Ohmann und meiner Großmutter Frau Falk. Die Damen unterhielten sich gleich von ihren Kindern und Enkeln und zeigten sich Bilder und machten es sich richtig bequem im Zug. Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich gewünscht hätte, dass Sie alle dabei gewesen wären und gesehen hätten, wie guten Mutes alle waren. Und ich hoffe, dass dies ein guter Beginn für die ganze Zeit war. Sollten Sie einmal etwas von dort hören, so wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir davon Mitteilung machen würden.“ 

Postkarte, Familienbesitz Dieber
Postkarte, Familienbesitz Dieber

Geschrieben hatte diese Zeilen die 1911 in Berlin geborene Theresa Hemmerdinger, die sich auf Gut Skaby bei Berlin auf eine Auswanderung nach Palästina vorbereitete und nach Lübeck gekommen war, um Abschied von Großmutter, Tante und einer weiteren Verwandten zu nehmen. In der Familie von Frieda Dieber wurde die Karte ebenso sorgsam verwahrt wie eine Reihe von kurzen Mitteilungen aus dem Ghetto Theresienstadt mit Aussagen wie: „Mir geht es gut.“ und „Es ist schön hier.“ Die Wirklichkeit sah anders aus.

„Es waren vor allem alte Menschen, die in diesen Monaten aus Deutschland nach Theresienstadt kamen. Mehr als die Hälfte war über 65 Jahre alt. Sie kamen in plombierten Waggons auf dem Bahnhof in Bohušovice an, waren bis zu 20 Stunden unterwegs gewesen und schleppten sich mit ihrem 50 Kg Gepäck mit letzter Kraft die 4 Km lange Straße entlang nach Theresienstadt. Beim Öffnen der Waggons fielen viele schon halb ohnmächtig heraus, Tote und Sterbende blieben in den Waggons zurück. 

Ein Transport kam nach dem anderen. Niemand wußte, wo all diese Menschen untergebracht werden sollten, denn das Ghetto war völlig überfüllt, der Ältestenrat und die Hilfsdienste völlig überfordert. Die Lebensmittelrationen nahmen stetig ab und die Sterberate stieg. Im Juni 1942 waren alle Kasernen überfüllt, im Juli reichten die vorhandenen Gebäude nicht mehr aus. Die Menschen wurden in unterirdischen Kasematten, auf Höfen, Hauseingängen und auf Dachböden untergebracht.“ (www.ghetto-theresienstadt/info/Das Ghetto der Alten)

Fast zwei Jahre lang ertrug Betty Ohmann das Elend des Ghettos mit Hunger, Kälte, Dreck und Krankheit. Mit 81 Jahren starb sie am 18. April 1944.  Zwei Überlebende des Ghettos bezeugten später ihren Tod. Johanna Siegmund und Erna Plünnecke sagten am 5. Oktober 1945 vor dem Oberlandesgericht Hamburg aus: „Wir sind beide als Jüdinnen im Juli 1942 nach Theresienstadt evakuiert worden. Mit uns zusammen wurde evakuiert die Witwe Betty Ohmann, geb. Giesen aus Lübeck, Klosterstraße 5. Frau Ohmann hat mit uns im selben Zimmer gewohnt. Von da aus kam sie in ein Altersheim in Theresienstadt. Dort ist sie am 18. 4. l944 gestorben. Wir haben beide Frau Ohmann noch als Leiche gesehen. Wir waren auch bei der Beerdigung zugegen.“ 

Da es von Betty Ohmann, anders als in anderen Fällen, keinerlei Todeszeugnis gab, sah sich ihre Familie zu dieser Beweisführung gezwungen.

Bei der Verlegung des Stolpersteins für Betty Ohmann vor ihrem Lübecker Zuhause in der Klosterstraße 5 sagte ihre Urenkelin:

„Über viele Jahrzehnte

Schweigen

wenig Worte

wenig Wissen

aber doch spürbar:

Trauer, Fassungslosigkeit und Empörung

in der Familie

in den Generationen

und nun endlich:

ein kleiner Stein

ein Stolperstein

ein Gedenkstein

ein Ruhestein

eine traurige, aber beruhigende Erinnerung

und ein gutes Gefühl!''

Mit Dank von Herzen

im Namen der Familienangehörigen:

Brigitte Nüchter und Timm Nüchter

(Urenkelin und Ur-Urenkel von Betty Ohmann) 

Verzeichnis der Quellen außerhalb der Standardfachliteratur:

  • Adressbücher und Meldekartei der Hansestadt Lübeck
  • Archiv der Hansestadt Lübeck

    •   Staatliche Polizeiverwaltung 109, 110, 124 
    •   Grundbuch von Lübeck, St. Jürgen, Bd. 25, Blatt 727, Klosterstraße 5
    •   Amtsgericht zu Lübeck, Testament 121 / 1928 Ohmann

  •  Bannow, Manfred: Auskünfte aus einem unveröffentlichten Bericht über „Bad Schwartau unterm Hakenkreuz“
  • JSHD Forschungsgruppe "Juden in Schleswig-Holstein" an der Universität Flensburg, Datenpool (Erich Koch).                              
  • Gedenkbuch des Bundesarchivs online
  • Gottwaldt, Alfred / Schulle, Diana: Die “Judendeportationen” aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005, S. 299
  • Graf, Andreas: Literatur-Agenturen in Deutschland 1868-1939, in: Buchhandelsgeschichte 1998 / 4/ B 180
  • Hannemann, Ursula: Albert Aereboe und Curt Stoermer – eine Künstlerfreundschaft, in: Der Wagen 2012, S. 175ff
  • Kirchenkreisarchiv Lübeck, Taufregister der Domgemeinde
  • Kürschner, J.: Handbuch der Presse,1902 
  • Landesarchiv Schleswig-Holstein, Entschädigungsakten, Abt. 761, Nr. 13838, Abt. 352 Kiel, Nr. 6372 und 6645, Abt. 510, Nr. 8604
  • Lübeckische Blätter, Jahrgang 1899, S. 577
  • Maass-Spielmann, Brigitte: Der Maler Albert Aereboe 1889-1970,
  • Schriften der Kunsthalle zu Kiel, Heft 9, Kiel 1983
  • Memorbuch zum Gedenken an die jüdischen, in der Schoa umgekommenen Schleswig-Holsteiner und Schleswig-Holsteinerinnen, hrsg. V. Miriam Gillis-Carlebach, Hamburg 1996
  • Pataky, Sophie: Lexikon deutscher Frauen der Feder, Bd. 1, Berlin 1898, S. 459
  • Schriftwechsel und Gespräche mit der Urenkelin Brigitte Nüchter
  • Theresienstädter Gedenkbuch, Prag 1995, Datenbank auf der Website www.holocaust.cz
  • www.ghetto-theresienstadt/info
  • Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims’ Names 
  • Zeitzeugengespräche  

 

Regina Heesemann und Heidemarie Kugler-Weiemann, 2013