Große Petersgrube 21 - Familie Strawczynski
David Strawczynski wurde am 13.5.1895 im polnischen Olcowka geboren, seine Frau Jürris Elsa, geborene Baer, stammte aus Lübeck. Ihr Geburtstag war der 11.6.1892. Die beiden Söhne Fred und Leo kamen am 5.9.1923 und 16.10.1924 in Lübeck zur Welt.
Eine frühere Nachbarstochter erinnert Herrn Strawczynski als kleineren untersetzten Mann, der als Bürstenmacher in einer Fabrik arbeitete, aber auch in Heimarbeit Besen und Bürsten anfertigte. Vermutlich handelte es sich um die Norddeutsche Bürsten Industrie Albert Asch & Co, Moislinger Allee 39/41. Frau Strawczynski war klein und rundlich, sie sei "Halbjüdin" gewesen. Die beiden Söhne sind als große Jungen in Erinnerung geblieben, die einige Jahre älter als die kleine Nachbarstochter waren und nichts mit ihr zu tun hatten.
Fred und Leo sind auf dem Gruppenfoto der Jüdischen Religionsschule zu sehen, Leo außerdem auf dem Foto von Schülern und Schülerinnen der Religionsschule, das sein Freund, der heutige Abraham Domb-Dotan aufgenommen hat.
Als polnische Staatsangehörige sollte die Familie Strawczynski wie auch andere Familien im Oktober 1938 nach Polen abgeschoben werden, bei der "Polenaktion". Nach ihrer unverhofften Rückkehr (Der Zug wurde in Berlin von den staatlichen Stellen gestoppt und zurückgeschickt.) wurden sie während der folgenden Monate von der Gestapo massiv unter Druck gesetzt und zur Ausreise aus Deutschland gedrängt, anderenfalls drohe eine erneute Abschiebung oder die Einweisung in ein Konzentrationslager. Das führte dazu, dass David Strawczynski und seine Frau nach Holland flohen und ihre beiden Söhne zurückließen.
Sein Freund erfährt im August 1939 aus den Briefen seiner beiden Tanten Bertha und Dora Lexandrowitz, "dass Strawczynskis in Amsterdam sind u. dass die Kinder hoffen, recht bald nach England zu kommen. Die Eltern werden dann nachfahren. Sie sind ja ohne Visum über die Grenze u. wohnen bei Bekannten."(S.57) Die angedeutete Möglichkeit eines Kindertransports gab es für Fred und Leo jedoch nicht. Im Januar 1941 heißt es in einem weiteren Brief: "Heute war ich hier zu einer nachträglichen Chanuckafeier. Siegfried Fisch und Fred Strawczynski haben nett mitgespielt. Fred und Leo haben gute Berichte von ihren Eltern." (S.116)
Die beiden Jungen machten in dieser Zeit eine Berufsausbildung in den Hamburger Ausbildungswerkstätten für jüdische Jugendliche und wohnen in Hamburg bei einer Tante.
Im März 1941 konnten Leo und sein älterer Bruder Fred endlich zu ihren Eltern fahren, die jetzt im inzwischen von den Deutschen besetzten Brüssel lebten. Vom belgischen Mechelen aus wurde die Familie am 11. August 1942 nach Auschwitz deportiert. Die Namen aller vier Familienmitglieder befinden sich auf der Transportliste II vom 11.8.1942 mit den Nummern 205, 209, 229 und 230.
Bürokratisch genau wurden die Lebensdaten in die Formulare eingetippt. Die Todesursache von David Strawczynski soll ein "plötzlicher Herztod" gewesen sein. Seine Söhne, der 18 jährige Leo und der 19 jährige Fred sollen an einem "Lungenödem bei Pneumonie" bzw. an einer "Rippenfellentzündung" am selben Tag, exakt zur selben Stunde gestorben sein, am 4. September 1942 um 22.35 Uhr. Der Name des für Versuche berüchtigten Arztes Kremer lässt viele schlimme Vermutungen zu, was den beiden Jungen angetan wurde.
Verzeichnis der Quellen außerhalb der Standardfachliteratur:
- Adressbücher und Meldekartei der Hansestadt Lübeck
- Archiv der Hansestadt Lübeck, Staatliche Polizeiverwaltung 8, 25, 109, 110
- Buch der Erinnerung, Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden, bearbeitet von Wolfgang Scheffler und Diana Schulle, München 2003
- Datenpool JSHD der Forschungsstelle "Juden in Schleswig-Holstein" an der Universität Flensburg
- Joods Museum van Deportatie en Verzet, Mechelen: Transportlisten
- Kugler-Weiemann, Heidemarie / Peperkorn, Hella (Hrsg.): "Hoffentlich klappt alles zum Guten ", Die Briefe der jüdischen Schwestern Bertha und Dora Lexandrowitz (1939 - 1941 ), Neumünster 2000
- Memorbuch zum Gedenken an die jüdischen, in der Schoa umgekommenen Schleswig-Holsteiner und Schleswig-Holsteinerinnen, hrsg. V. Miriam Gillis-Carlebach, Hamburg 1996
- Museen für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck (Fotoarchiv)
- Panstwowe Museum Oswiecim, Sterbebücher Auschwitz
- Albrecht Schreiber, Zwischen Davidstern und Doppeladler, Illustrierte Chronik der Juden in Moisling und Lübeck, Lübeck 1992
- Staatsarchiv Hamburg 362-6/10 Talmud Tora 46, Sa 1252 und 1253
- Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims Names
- Zeitzeugengespräche
Heidemarie Kugler-Weiemann, 2008