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Fischergrube 22 - Familie Katz

Seit Ende 1932 wohnten Bruno und Caroline Katz mit ihren Kindern in der Fischergrube 22. Ihre Wohnung befand sich in der ersten Etage rechts.

Fischergrube 22 (Jahr unbekannt) [1]
Fischergrube 22 (Jahr unbekannt) [1]

Bruno Katz(enfuß) war am 25.12.1880 in Preußisch Holland nahe Elbing in Westpreußen geboren. 1908 kam er aus Lübtheen in Mecklenburg erstmals nach Lübeck und nahm 1909 Caroline Cohn, Linchen genannt, zur Frau. Sie war am 5.8.1887 in Lübeck geboren. Mit ihrer Heirat verlor sie die lübeckische Staatsangehörigkeit und galt wie ihr Mann und später ihre Kinder als staatenlos. Ihre ältere Schwester Emma hatte bereits 1904 Brunos älteren Bruder Max geheiratet.

Im Personenstandsregister der Israelitischen Gemeinde findet sich folgende Eintragung zur Eheschließung von Bruno und Caroline Katz:

Eintragung des Rabbiners Dr. Salomon Carlebach über die Eheschließung von Bruno und Caroline Katz [2]
Eintragung des Rabbiners Dr. Salomon Carlebach über die Eheschließung von Bruno und Caroline Katz [2]

                                    No.267 = 161

Heute, Mittwoch den achtzehnten August Ein Tausend neun Hundert und neun ward von mir, dem unterzeichneten Rabbiner, nach jüdischem Gesetz, hier in Lübeck getraut der Schaufensterdekorateur
                                    Bruno Katzenfuß genannt Katz,
wohnhaft hierselbst, geboren am 25.Dezember 1880 in Pr.Holland, als Sohn des Klempnermeisters Joseph Katzenfuß und dessen Ehefrau Marie geborene Moses, mit der Jungfrau
                                    Caroline Cohn,
wohnhaft hierselbst, geboren hierselbst am 5.August 1887, als Tochter des Handelsmannes Lazarus Selig Cohn und dessen Ehefrau Rosa geborene Hopp, nachdem die bürgerliche Trauung hierselbst am Tage zuvor unter No. 516 vollzogen worden war.
                                                                                 Dr. Carlebach, Rabbiner

Das junge Ehepaar wohnte zunächst in der Beckergrube 61 und fand ab 1911 sein Zuhause in der Marlesgrube, zunächst im Haus Nr. 38 und ab 1913 in der Marlesgrube 48.
Viele Jahre lautete die Eintragung im Lübecker Adressbuch: Katz, Bruno, Dekorateur und Plakatmaler, Marlesgrube 48, Frau Caroline, Kleidung u. Schuhwaren, Marlesgrube 48.

Geburtsanzeige Rosa Katz [3]
Geburtsanzeige Rosa Katz [3]

Ihre vier Kinder wurden in Lübeck geboren: Mirjam 1910, Werner Selig 1912, Josef 1916 und schließlich 1922 Rosa. Alle vier wuchsen in der Marlesgrube auf, wo in der unmittelbaren Nachbarschaft andere jüdische Familien mit etwa gleichaltrigen Kindern lebten, die Familien Lexandrowitz, Morgenstern, Jurmann und Langsner.

Konkursanzeige am 3.5.1925 [4]
Konkursanzeige am 3.5.1925 [4]

Zu Beginn der 1920er Jahre erweiterten Bruno und Caroline Katz das Geschäft im Erdgeschoss des Hauses Marlesgrube 48 zu einer Möbelhandlung, die jedoch bereits im Jahr 1925 Konkurs anmelden musste.

Bald darauf zog die Familie um, 1927 in den Reiherstieg 33 und im Dezember 1932 schließlich in die Fischergrube 22. Zu dieser Zeit war Bruno Katz als Geschäftsführer im Adressbuch eingetragen.

Fischergrube 22 im Jahr 2010 [5]
Fischergrube 22 im Jahr 2010 [5]

Der 1916 geborene Sohn Josef schrieb Ende der 1980er Jahre nach einem Besuch in Lübeck einige Erinnerungen auf und sagte darin:
"Mein Vater nahm mich in Lübeck mit 15 Jahren aus der Schule und steckte mich in die Tischlerlehre, denn, wie er meinte und das Sprichwort auch sagt: Handwerk hat goldenen Boden; Palästina befindet sich im Aufbau, und es wird dir sehr zu Nutzen kommen. Mein Vater war sehr weitsichtig, und schon 1931 hatte er beschlossen, dass seine 4 Kinder Deutschland verlassen müssten."
Ein Tischlermeister in der Travelmannstraße, einer der ersten Nazis in Lübeck, nahm den Jungen in die Ausbildung. "Seine einzige Bedingung war, dass ich zum halben Preis arbeiten müsste. Das vierte Jahr zahlte er voll. Er war gut zu mir, und während der ganzen Lehrzeit fiel nicht das Wort "Jude". Man muss die damalige Zeit verstehen, um zu wissen, was für ein Mensch er war. Durch sein Wirken wurde ich sogar zur Gesellenprüfung zugelassen. Es ging uns zu Hause gar nicht gut, und so hatte ich das Glück, dass er mich als Gesellen weiterarbeiten ließ."
Im Jahr 1935 aber musste Josef die Werkstatt verlassen und bereitete sich in einer Hachschara-Einrichtung auf die Auswanderung nach Palästina vor.

Josef Katz war eng befreundet mit einem nichtjüdischen Mädchen; heimlich trafen sie sich abends an der Untertrave und nahmen alle damit verbundenen Risiken in Kauf. So wurde Josef eines Abends nach dem Treffen mit seiner Freundin Ursula von einer Gruppe junger Männer zusammengeschlagen und hatte damit, nach den Worten des Vaters, "noch Glück gehabt".
Noch im hohen Alter erinnerte sich seine einstige Freundin an den Abschied von Josef Katz im Jahr 1936, als sie ihn zum Bahnhof begleitete und er Lübeck und die Eltern für immer verließ in Richtung Palästina. "In Palästina kam ich in einen Kibbuz, und als 20jähriger fühlte ich mich zum ersten Mal als ein freier Mensch."

Seine jüngere Schwester Rosa begann im März 1939 im Lehrgut Steckelsdorf bei Rathenow ihre Vorbereitung für Palästina und konnte ihrem Bruder dorthin folgen.

Werner Selig Katz war wie der Vater Plakatschreiber geworden und wanderte im Januar 1938 in die USA aus, und auch die ältere Schwester Mirjam konnte noch im März 1941 mit ihrem Ehemann Kurt Fritz Vollmann Deutschland verlassen und in New York eine neue Existenz gründen.
Im Brief vom 22.8.1940 schreiben die früheren Nachbarinnen aus der Marlesgrube, Bertha und Dora Lexandrowitz, an ihre Verwandten in Shanghai: "Heute ist Nathan Blumenthal abgefahren, u. zwar via Japan, Afrika, nach Südamerika. Sonja Carlebach ist auch über Yokohama nach New York gefahren, und Miriam Vollmann fährt auch in der nächsten Zeit. Sie hat grosses Glück, dass sie noch schnell geheiratet hat, sonst wäre sie, wie wir, nicht durch diese Route gekommen."

Dieser kurze Hinweis zeigt schlaglichtartig die verzweifelten Bemühungen vieler jüdischer Lübecker um eine Fluchtmöglichkeit und die immensen Schwierigkeiten, zumal mit Beginn des Zweiten Weltkriegs nicht nur die strikten Einwanderungsbedingungen der einzelnen Staaten und die erheblichen Kosten, sondern auch die eingeschränkten Reisewege zu großen Problemen geworden waren. Durch ihre Heirat galt Miriam Vollmann nicht mehr als Staatenlose und erhielt wie ihr Mann die notwendigen Durchreisevisa. Kurz nach ihrer Flucht im März 1941 wurde mit dem Angriff auf die Sowjetunion im Sommer 1941 auch diese Fluchtroute abgeschnitten.

Sicher werden sich auch Bruno und Caroline Katz um eine Auswanderung bemüht haben. In den Jahren 1939 und 1940 wurden sie als Staatenlose von der Gestapo zum Verlassen Deutschlands gedrängt, doch für sie als ältere Menschen wurde schließlich die Flucht unmöglich.

Rechnung der Firma Kalck vom Dezember 1941 an das Finanzamt [6]
Rechnung der Firma Kalck vom Dezember 1941 an das Finanzamt [6]

Bruno Katz war 61 Jahre alt, seine Frau 54, als der Evakuierungsbefehl sie erreichte. Gemeinsam mit Carolines Schwester Emma Katz, ebenfalls 61 Jahre alt, und deren jüngstem Sohn Josef, der sich freiwillig für diesen Transport "in den Osten" meldete, um seine Mutter zu begleiten, wurden sie am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert.
Die Wohnung der Familie Katz in der Fischergrube 22 wurde nach dem Abtransport nach Riga "durchgast", wofür die beauftragte Firma dem Finanzamt 72 Mark in Rechnung stellte.

Die 1945 geschriebenen "Erinnerungen eines Überlebenden" von Josef Katz, dem Neffen von Caroline und Bruno Katz, sind ein wichtiges Dokument der Deportation vom 6. Dezember 1941 nach Riga, und einige persönliche Schilderungen betreffen seinen Onkel und seine Tante.
"Erlaubt sind 50 Kilogramm Handgepäck. Mein Onkel hat sich noch schnell einen eisernen Ofen gekauft, denn im Osten wird es sehr kalt sein, meint er. Wir nehmen auch unsere Nähmaschine mit. Meine Mutter denkt, vielleicht kann sie sich dort etwas mit Nähen verdienen." (Seite 23)

Schon bei der Ankunft am Bahnhof Skirotova musste Josef Katz sich von seiner Mutter und den Verwandten trennen. Er schreibt: "Ich habe inzwischen meine Mutter behutsam vom Trittbrett heruntergehoben und ihr den Rucksack aufgeschnallt. Wir stehen mitten im Gewühl. ... "Halte dich an meinem Arm fest, Mutti!" ... "Lass den Koffer stehen. Es hat keinen Sinn, ihn weiter zu schleppen." So werden wir langsam dem Ausgang des Bahnsteigs zugeschoben. Wir gelangen auf einen freien Platz vor dem Bahnhofsgebäude. "Komm her!" brüllt mich da plötzlich ein SS-Mann von der Seite an. ... Meine Mutter muss ich allein weitergehen lassen. Langsam schreitet sie an der Seite meines Onkels dahin. Es ist ein Zug unbeschreiblichen Elends." (Seite 26/27)

Seine Tante Linchen ist es, die ihm am 22. Januar 1942 die traurige Nachricht vom Tod seiner Mutter zukommen lassen kann.
"Mein lieber Josef, Deine liebe Mutter ist gestern abend an einem Schlaganfall in den Armen von Oberrabbiner Carlebach gestorben. Sie hat noch "Shmah Jisroel" (Höre Israel) gesagt, sie hat sich nicht gequält. Nachmittags ist ihr plötzlich schlecht geworden, kurze Zeit später war sie tot. Sie ist gestorben wie eine ganz fromme Frau, sagt Carlebach. Sie ist wohl daran. Ich soll Dir noch Grüße von allen hier ausrichten. Deine Dich liebende Tante Linchen." (Seite 44)

Es ist nicht bekannt, wie Bruno und Linchen Katz ums Leben kamen. Wenn sie nicht ebenfalls bereits während der Wintermonate im Lager Jungfernhof ihr Leben infolge von Kälte, Hunger und aller weiteren menschenunwürdigen Bedingungen verloren haben, dann dürften sie zu den vielen Menschen gehören, die im Februar und März 1942 vom Jungfernhof in den Bikerniekiwald transportiert und dort erschossen wurden.

In der Halle der Namen von Yad Vashem in Jerusalem erinnern zwei Gedenkblätter an Bruno und Caroline Katz, ausgefüllt von einer Urenkelin.

Bildnachweise

[1] Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck
[2] Archiv der Hansestadt Lübeck, Personenstandsregister der Jüdischen Gemeinde, Bd. 2 Eheschließungen
[3] Lübecker Generalanzeiger vom 16.7.1922
[4] Lübecker Generalanzeiger vom 3.5.1925
[5] Foto Heidemarie Kugler-Weiemann, 2010
[6] aus Goldberg, Bettina / Paul, Gerhard, Matrosenanzug - Davidstern, Bilder jüdischen Lebens aus der Provinz, Neumünster 2002, S. 265

 

Verzeichnis der Quellen außerhalb der Standardfachliteratur

  • Adressbücher und Melderegister der Hansestadt Lübeck
  • Archiv der Hansestadt Lübeck:

    • Staatliche Polizeiverwaltung 8, 25, 108, 110, 124
    • Liste des Ordnungsamtes von 1963 über den Verbleib jüdischer Menschen aus Lübeck
    • Personenstandsregister der Israelitischen Gemeinde

  • Buch der Erinnerung, Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden, bearbeitet von Wolfgang Scheffler und Diana Schulle, München 2003
  • Bundesarchiv: Gedenkbuch, Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945,
  • www.bundesarchiv.de/gedenkbuch
  • Datenpool JSHD der Forschungsstelle “Juden in Schleswig-Holstein” an der Universität Flensburg
  • Goldberg, Bettina / Paul, Gerhard, Matrosenanzug - Davidstern, Bilder jüdischen Lebens aus der Provinz, Neumünster 2002, S. 265
  • Goldberg, Bettina, Abseits der Metropolen, Die jüdische Minderheit in Schleswig-Holstein, Neumünster 2011
  • "Hoffentlich klappt alles zum Guten...", Die Briefe der jüdischen Schwestern Bertha und Dora Lexandrowitz, bearbeitet und kommentiert von Heidemarie Kugler-Weiemann und Hella Peperkorn, Neumünster 2000
  • Katz, Josef, Erinnerungen eines Überlebenden, Kiel 1988
  • Lübecker Generalanzeiger 1925
  • Memorbuch zum Gedenken an die jüdischen, in der Schoa umgekommenen Schleswig-Holsteiner und Schleswig-Holsteinerinnen, hrsg. v. Miriam Gillis-Carlebach, Hamburg 1996
  • PHILO-Atlas, Handbuch für die jüdische Auswanderung, 1938 (Reprint)
  • Albrecht Schreiber, Zwischen Davidstern und Doppeladler, Illustrierte Chronik der Juden in Moisling und Lübeck, Lübeck 1992
  • Stolz, Gerd, Von Lübeck fort und nach Lübeck zurück - Der Lebensweg des Kantors Berthold Katz, In: Der Wagen, Ein Lübeckisches Jahrbuch 1997/98, S. 169ff
  • Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims’ Names
  • Zeitzeugengespräche
  • Zwischen gestern und heute, Erinnerungen jüdischen Lebens ehemaliger Schleswig-Holsteiner, zusammengestellt von Gerd Stolz, Heide 1991, darin: Josef Katz, Erinnerungen eines deutschen Juden, S. 61-65

 

Heidemarie Kugler-Weiemann, 2012