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In der Breiten Straße 41 wohnte die Familie Camnitzer.

 

Geschäft für "Damen- und Mädchen-Kleidung Gebr. Hirschfeld" Lübeck
Geschäft für "Damen- und Mädchen-Kleidung Gebr. Hirschfeld" Lübeck

Carl Camnitzer wurde am 21.5.1873 in Deutsch-Lonk im Distrikt Schwetz in Westpreußen geboren. Auch seine Frau Lina, geborene Hirschfeld, stammte aus dieser Gegend, sie war am 6.6.1873 geboren.

Das Ehepaar hatte vier Kinder: Die älteste war Hedwig, sie wurde am 10.7.1899 in Schwetz geboren. Elsa folgte am 25.8.1900. Der ältere Sohn Martin kam 1902 zur Welt, starb jedoch bereits mit 8 Jahren im Jahre 1910. Siegbert wurde am 6.3.1904 geboren.

Später zog die Familie erst nach Hamburg und 1920 dann nach Lübeck. Carl Camnitzer führte gemeinsam mit seinem Schwager Hermann Schild und seinem Sohn Siegbert das Geschäft für "Damen- und Mädchen-Kleidung Gebr. Hirschfeld", das in der Breiten Straße 39 - 41 seine sehr renommierte Lübecker Niederlassung hatte. Das Gebäude befand sich im Besitz der Familie.

Im Erdgeschoss der Häuser 39 und 41 befanden sich die Geschäftsräume. Im dritten Stock von Nr. 39 wohnte der Kaufmann Hermann Schild mit seiner Frau Emma, geborene Hirschfeld, Linas jüngerer Schwester, sowie seiner Zwillingsschwester Dora Schild. Im dritten Stock, in letzter Zeit im 2. Stock der Nr. 41 wohnte die Familie Camnitzer, zu der auch Siegberts Frau Florenze Gertrud Julis, geb. Hamm, gehörte. Sie war 29.5.1913 in Schwerin geboren. Der kleine Sohn der beiden, Ludwig, wurde am 6. 11. 1937 in Lübeck geboren.  Hedwig Camnitzer lebte in Hamburg.

In  den weiteren Stockwerken des Geschäftshauses befanden sich verschiedene Arztpraxen, Kanzleien von Rechtsanwälten, Wohnungen sowie im 1. Stock von Nr. 39 das "Bank - Kommiss. - Geschäft " von Simson Carlebach und E. J. Schlomer.

In der Akte 130 der Staatlichen Polizeiverwaltung Lübeck zur VO vom 26. April 1938 über die "Anmeldung des Vermögens von Juden" findet sich eine Namensliste auf dem Briefbogen der Firma Gebrüder Hirschfeld.

Nach der Arisierung im Laufe des Jahres 1938 bestand das Geschäft für Damen- und Mädchenkleidung, Breite Straße 39 - 41 weiter unter dem Namen Gutsmann, Herbert + Co.

Siegbert und Florenze Camnitzer konnten mit ihrem kleinen Sohn Ludwig 1939 nach Uruguay entkommen.

Carl Camnitzer und wohl die gesamte Familie waren engagierte Mitglieder der jüdischen Gemeinde, arbeiteten im Vorstand und anderen Gremien der jüdischen Organisationen. So trägt das letzte erhaltene Protokoll einer Vorstandssitzung der Israelischen Gemeinde Lübeck von März 1941 die Unterschriften von Carl Camnitzer und Hermann Schild sowie von Henry Ruben.

Gedenkblatt für Carl Camnitzer, Yad Vashem, Jerusalem
Gedenkblatt für Carl Camnitzer, Yad Vashem, Jerusalem

Für die Fürsorgerin "Fräulein Else Camnitzer" wurden im Oktober 1941 mehrfach Fahrten nach Hamburg beantragt, wo sie an Arbeitsbesprechungen bei der Reichsvereinigung der Juden mit der Gestapo teilnahm. (Archiv der HL, Staatliche Polizeiverwaltung 121)

Carl Camnitzer, seine Frau Lina und die Tochter Elsa wurden am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert und verloren dort ihr Leben, vermutlich bei der Erschießung  im Bikerniekiwald im März 1942. Carl und Lina Camnitzer waren 68 Jahre alt, ihre Tochter Elsa 41 Jahre. Drei Gedenkblätter in der Halle der Namen von Yad Vashem, die ein entfernter Verwandter ausgefüllt hat, erinnern an sie.

Rechnung für den Abtransport des Hausrats der Familie Chamnitzer
Rechnung für den Abtransport des Hausrats der Familie Chamnitzer

Für den Abtransport des Hausrats der Familie Camnitzer stellte die Spedition Friedrich Grüschow dem Finanzamt Lübeck am 2. Januar 1942 eine Rechnung über 21,30 RM aus.

Hermann Schild begleitete in seiner Funktion als Beauftragter der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland für Lübeck den Deportationszug am 6.12.1941 bis Bad Oldesloe. Auch hierfür hatte er einen Reiseantrag bei der Gestapo zu stellen. Hermann Schild, seine Frau Emma sowie seine Zwillingsschwester kamen am 30. März 1942 beim Bombenangriff auf Lübeck ums Leben. Für das Ehepaar Schild wurde im August 1946 von der Stadt Lübeck ein Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Moisling errichtet, in dem auch die im Jahre 1938 verfügten Zwangsnamen Israel und Sara eingraviert wurden.

Verzeichnis der Quellen außerhalb der Standardfachliteratur:

  • Adressbücher und Meldekartei der Hansestadt Lübeck
  • Archiv der Hansestadt Lübeck, Staatliche Polizeiverwaltung 109, 110, 121, 130
  • Buch der Erinnerung, Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden, bearbeitet von Wolfgang Scheffler und Diana Schulle, München 2003
  • Datenpool JSHD der Forschungsstelle "Juden in Schleswig-Holstein" an der Universität Flensburg
  • Memorbuch zum Gedenken an die jüdischen, in der Schoa umgekommenen Schleswig-Holsteiner und Schleswig-Holsteinerinnen, hrsg. V. Miriam Gillis-Carlebach, Hamburg 1996
  • Gerhard Paul, Bettina Goldberg: Matrosenanzug - Davidstern, Bilder jüdischen Lebens aus der Provinz, Neumünster 2002
  • Albrecht Schreiber, Zwischen Davidstern und Doppeladler, Illustrierte Chronik der Juden in Moisling und Lübeck, Lübeck 1992
  • Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims Names

Heidemarie Kugler-Weiemann, 2008