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In der Bismarckstraße 10 wohnte Frieda Dieber, geb. Rubensohn.

Im Haus Bismarckstraße 10 hatte Frieda Dieber von 1937 bis zum Sommer 1942 ihr Zuhause.

Bismarckstraße 10 (weißes Haus) und 10a, H.K-W 2013
Bismarckstraße 10 (weißes Haus) und 10a, H.K-W 2013

Frieda Dieber war am 6. Januar 1868 als zweites Kind von Israel Moses Rubensohn (1838-1906) und seiner Frau Sophie, geborene Pommer (1844-1937) im mecklenburgischen Städtchen Crivitz zur Welt gekommen und wuchs dort mit ihren fünf Geschwistern Franz (Jahrgang 1866), Adolph (1870), Helene (1874), Albert (1879) und Bernhard (1881) auf. Ein weiterer Bruder Ernst, 1872 geboren, starb bereits im Alter von einem Jahr.

Israel Moses und Sophie Rubensohn mit ihren sechs erwachsenen Kindern Neben und hinter den Eltern von links: Franz, Bernhard, Frieda, Adolph, Helene und Albert ,Familienbesitz
Israel Moses und Sophie Rubensohn mit ihren sechs erwachsenen Kindern Neben und hinter den Eltern von links: Franz, Bernhard, Frieda, Adolph, Helene und Albert ,Familienbesitz

Am 23. August 1892 heiratete Frieda Rubensohn in Magdeburg den „Agenten“, also Handelsvertreter Wilhelm Philipp Hermann Dieber, der kein Jude war. Hermann Dieber war 1871 in Magdeburg als Sohn eines Zahnarztes geboren und in der St. Katharinenkirche evangelisch getauft. Für ihre Eheschließung ließ sich auch Frieda Rubensohn evangelisch taufen. Das junge Paar lebte zunächst in Magdeburg, wo ihr Sohn August Hermann Kurt (auch Curt geschrieben) 1895 geboren wurde. Die Tochter Lotte Marga Walli kam 1898 in Dresden zur Welt, der zweite Sohn Willy Franz Olaf 1900 in Stettin und schließlich die jüngere Tochter Elli 1903 in Lübeck. 

1902 war Frieda Dieber, geborene Rubensohn erstmals in Lübeck gemeldet, mit ihren damals drei Kindern Kurt, Lotte und Willy, jedoch ohne ihren Ehemann. Das Ehepaar hatte sich getrennt; eine Scheidung hat es jedoch vermutlich nicht gegeben.

Ein schwerer Schicksalsschlag traf die nun 34 Jährige: Ihr kleiner Sohn Willy starb am 29. September 1902 in Lübeck. „Allgemeine Körperschwäche“ nannte der Arzt die Ursache auf dem Totenschein. 

Bis 1922 lebte Frieda Dieber mit ihren Kindern Curt, Lotte und Elli in Lübeck und zog dabei etliche Male um. Die Kinder wuchsen in der Hansestadt auf, gingen  hier zur Schule, wurden erwachsen.  

Am 15. August 1922 fand eine Doppelhochzeit beider Töchter statt, die zuvor in den lauenburgischen Dörfern Panten und Lankau gelebt hatten und vermutlich dort als Haus- und Kindermädchen „in Stellung“ gewesen waren. Lotte Marga Walli schloss die Ehe mit dem Friseur Otto Köster und wohnte mit ihm in der Hüxstraße 91/93 in einer Wohnung im zweiten Stock, der Frisieursalon befand sich am Hüxterdamm 4. Sie gab gegenüber dem Ordnungsamt ihre Religionszugehörigkeit mit „mosaisch“ an; ihr Mann war kein Jude. 

Elli heiratete den Malergesellen Paul Martin Max Krauthammel. Die beiden wohnten zuerst in der Loignystraße, später lange Jahre in der Travelmannstraße 15. Das Melderegister weist Elli Krauthammel, geb. Dieber als evangelisch getauft aus.

Kurz darauf fand am 5. September 1922 die Hochzeit von Frieda Diebers Sohn Curt mit  Milda Schreiber statt. So waren nun alle drei Kinder der 54 Jährigen verheiratet und „aus dem Haus“. Noch im selben Jahr 1922 verließ Frieda Dieber Lübeck und zog zu ihrer verwitweten Mutter nach Schwerin. Sophie Rubensohn war zu diesem Zeitpunkt 78 Jahre alt. Nach der Erinnerung ihres Urenkels Erich war sie eine sehr gläubige Jüdin, die die Regeln der Religion einhielt und in ihrer Wohnung einen besonderen Gebetsraum hatte. Finanziell waren Sophie Rubensohn und auch ihre Tochter Frieda auf die Unterstützung der Familie, vor allem von Friedas Bruder Adolph Rubensohn, angewiesen. 

1935 war Frieda Dieber in der Münzstraße 7 als Witwe und Rentnerin und als Mitglied der Israelitischen Gemeinde gemeldet. Für Besuche bei ihren Kindern und Enkeln war sie mehrfach nach Lübeck gekommen, aber erst nach dem Tod ihrer Mutter am 11. April 1937 verlegte sie ihren Wohnsitz wieder in die Hansestadt. Bei den Geschwistern Grebien, denen das Haus Bismarckstraße 10 gehörte, bezog sie im Juni 1937 eine kleine Wohnung mit zwei Zimmern und Küche im ersten Stock. Sie war zu diesem Zeitpunkt 69 Jahre alt. 

Elli und Paul Krauthammel hatten zwei Kinder, Bernd (1924 geboren) und Jutta (1933 geboren) ; Lotte und Otto Köster eine Tochter Ruth (1923 geboren) und Curt und Milda Dieber zwei Kinder, den 1923 geborenen Sohn Erich und die 1926 geborene Tochter Helga. Zwischen allen bestand ein enger familiärer Kontakt. 

Frieda Dieber mit ihren Kindern, Familienbesitz
Frieda Dieber mit ihren Kindern, Familienbesitz
Frieda Dieber mit ihren Enkelkindern Erich und Helga, Familienbesitz
Frieda Dieber mit ihren Enkelkindern Erich und Helga, Familienbesitz
Frieda Dieber (dritte von rechts) mit Kindern, Schwiegerkindern und Enkeln, Familienbesitz
Frieda Dieber (dritte von rechts) mit Kindern, Schwiegerkindern und Enkeln, Familienbesitz

Curt Dieber wohnte mit seiner Familie seit 1934 im Haus des Schwiegervaters, des Schuhmachermeisters E. Schreiber, in der Blankstraße 22. Hier zahlte er nur eine geringe Miete und lebte sehr zurückgezogen, um nicht weiter aufzufallen und zusätzliche Diskriminierungen zu vermeiden. Der gelernte Textilkaufmann war im 1. Weltkrieg Soldat gewesen und von 1923 bis 1933 Geschäftsführer im Kaufhaus des jüdischen Geschäftsmannes Noah Honig. Als dessen Geschäfte in Folge der Boykottaufrufe zurück gingen, wurde ihm gekündigt, und er machte sich mit einem „ambulanten Handel“ selbständig. Zunächst wohl mit Erfolg, doch dann war im Völkischen Beobachter ein antisemitischer Artikel erschienen, in dem die in Schwerin lebende Mutter Frieda Dieber namentlich genannt wurde, und seine Geschäfte gingen zurück, so dass er ab 1937 nur noch als Vertreter tätig sein konnte. Aus dem Kyffhäuserbund, dem Dachverband der deutschen Kriegervereine, wurde er als „Halbjude“ ausgeschlossen, aber während des 2. Weltkrieges zur Wehrmacht einberufen. Nach der Invasion bei Le Havre geriet er in Kriegsgefangenschaft.

Curt Dieber in Uniform, Familienbesitz
Curt Dieber in Uniform, Familienbesitz
Curt Dieber in Zivil, Familienbesitz
Curt Dieber in Zivil, Familienbesitz

Von Ausgrenzung und Entrechtung der jüdischen Bevölkerung waren auch die „Mischlinge ersten und zweiten Grades“ wie Frieda Diebers Kinder und Enkelkinder betroffen. Noch als 90Jähriger erinnert sich ihr Enkel Erich zum Beispiel ganz genau daran, wie er und sein etwa gleichaltriger Vetter Bernd nach dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze 1935 vom Jungvolk, der Jugendorganisation der Hitler-Jugend für Jungen zwischen 10 und 14 Jahren, ausgeschlossen wurden. Die beiden sehr sportlichen Jungen waren durch die Eingliederung ihres Sportvereins LT, der Lübecker Turnerschaft“, in die HJ automatisch zu Mitgliedern des Jungvolks geworden. Der Jungvolkführer klingelte an der Haustür und ließ sich die Uniform aushändigen. Nun durften sie nicht mehr an den Sportstunden in der Hauptturnhalle teilnehmen.  

Ende 1938 musste Frieda Dieber den verordneten Zwangsvornamen Sara annehmen und eine schriftliche Erklärung bei der Polizei abgeben. 

Mit dieser Erklärung nahm Frieda Dieber den Zwangsnamen Sara an.
Mit dieser Erklärung nahm Frieda Dieber den Zwangsnamen Sara an.

Von der Deportation der meisten noch in Lübeck lebenden Juden Anfang Dezember 1941 nach Riga blieb Frieda Dieber noch verschont, musste aber viele weitere gesetzliche Einschränkungen ihres Lebens erleben. Hart dürfte sie die Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden vom 1.9.1941 getroffen haben, die auch sie zwang, in der Öffentlichkeit den „Judenstern“ an ihrer Kleidung zu tragen. Nach den Erinnerungen ihres Enkels setzte sie sich bisweilen recht unbekümmert über diese Anordnung hinweg und ging beispielsweise ohne die Kennzeichnung ins Kino, was ihr als Jüdin nicht gestattet war.  

Im Sommer 1942 erhielt Frieda Dieber den „Evakuierungsbescheid“. Offiziell war die Rede von einer „Wohnsitzverlegung“ und Unterbringung in einem „Altersheim in Böhmen“, und möglicherweise musste Frieda Dieber wie viele andere für diese „Heimunterbringung“ Geld im voraus zahlen. Ihre Töchter halfen ihr, zwei Kisten mit Kleidung und Hausrat zu packen. 

Eine Nachbarin aus der Bismarckstraße, Erna Gogowsky, führte ein Tagebuch und notierte darin am 18. Juni 1942:

„Frau Dieber, die Jüdin von nebenan, muss innerhalb von drei Tagen Lübeck verlassen. Ich sah schon tagsüber, dass dauernd größere und kleinere Mengen Zeug und Möbel abgeholt wurden durch ihre Kinder. Aber darauf war ich wirklich nicht gekommen, dass sie aus Lübeck heraus müsste. Ihre Kinder haben alles versucht, diese Anordnung rückgängig zu machen. Aber vergebens. Bettzeug, Kleidung und 50 Mark darf sie mitnehmen. Sie kommt nach Böhmen in ein Heim, heißt es. Weiter weiß sie nichts. Ist das nicht hart für eine solch alte Frau?

Ihr Mann war arisch, alle ihre Kinder sind arisch verheiratet, und doch muss sie weichen. Die Kinder haben angeboten, sie „ohne Lebensmittelmarken“ bei sich aufzunehmen. Auch darauf ist man nicht eingegangen. Die Möbel werden vom Finanzamt beschlagnahmt. In die Wohnung werden wohl Bombengeschädigte eingewiesen.“ 

Abschiedsbrief von Frieda Dieber, Familienbesitz
Abschiedsbrief von Frieda Dieber, Familienbesitz

Am letzten Abend in Lübeck, den sie wie die Nacht noch bei ihrer Tochter Lotte verbringen durfte und nicht in der Sammelstelle in der St. Annenstraße 11, schrieb Frieda Dieber einen Abschiedsbrief an ihre Tochter Elli, den Schwiegersohn Paul und ihre Enkelkinder Bernd und Jutta. Darin heißt es u.a.: 

„... besondere Freude machte mir das von Dir mein Juttalein gemalte Bild, welches ich stets in Ehren halten werde. Ihr Lieben wisst doch, wie lieb ich Euch alle habe und wie sehr ich mit meinen Gedanken nur bei Euch meinen lieben Kindern und Enkeln bin. Ich danke Euch herzlich für alle Liebe, die Ihr mir gegeben habt und Dir mein Paul noch besonderen Dank. Du warst Ja stets ein guter Schwiegersohn, möge Gott Euch alles an Euren Kindern vergelten.“

In einem Telegramm habe sie erfahren, dass auch ihre Schwester Helene und deren Mann „ihren Wohnsitz“ nach Böhmen verlegen müssen.  „Demnach kommen sie ja auch diese Tage weg und hoffentlich auch dahin , wo ich bin. Das wäre ja für mich die größte Freude. Hoffentlich kann ich es Euch bald schreiben.  ... Nun geliebte Kinder, Bernd und Jutta lebt wohl, bleibt nur immer gesund, und will ich auch ein Wiedersehen hoffen. Es ist 10 Uhr abends, Otto u. Lotte grüßten herzlich. Danke damit für alles, in steter Liebe.“ 

 

Ihre ältere Tochter Lotte begleitete sie am 19. Juli 1942 morgens um 5 Uhr in die St. Annen-Straße. Von dort  wurde die dann 74 jährige am selben Tag als Nr. 792 über Hamburg mit dem Transport VI / 2 in das Ghetto Theresienstadt bei Prag deportiert. Die beiden Kisten mit ihrem Gepäck erhielt sie nicht wieder. Ihr restlicher Besitz wurde in Lübeck einige Tage nach der Deportation vom Versteigerungshaus Alwin Pump zugunsten der Staatskasse öffentlich versteigert.

Einige Tage nach dem Abtransport der Mutter erhielt Frieda Diebers Tochter Lotte Köster eine Karte von einer Frau Hemmerdinger mit folgendem Wortlaut:

„Sie werden sich wundern, von einer Fremden Post zu bekommen. Ich bin die Nichte von Frau Mansbacher und bin mit Ihrer Mutter zusammen im Abteil bis Hamburg gefahren. Da möchte ich Ihnen gern erzählen, dass die Reise bis Hamburg besonders gut verlaufen ist. Ihre Mutter war, wie alle andern Damen, recht guter Stimmung. Sie fühlte sich sofort heimisch in dem Kreis von Frau Bröll, Frau Ohmann und meiner Großmutter Frau Falk. Die Damen unterhielten sich gleich von ihren Kindern und Enkeln und zeigten sich Bilder und machten es sich richtig bequem im Zug. Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich gewünscht hätte, dass Sie alle dabei gewesen wären und gesehen hätten, wie guten Mutes alle waren. Und ich hoffe, dass dies ein guter Beginn für die ganze Zeit war. Sollten Sie einmal etwas von dort hören, so wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir davon Mitteilung machen würden.“ 

Postkarte vom 23.7.1942, Familienbesitz Dieber
Postkarte vom 23.7.1942, Familienbesitz Dieber
Postkarte vom 23.7.1942, Familienbesitz Dieber
Postkarte vom 23.7.1942, Familienbesitz Dieber

Geschrieben hatte diese Zeilen die 1911 in Berlin geborene Theresa Hemmerdinger, die sich auf Gut Skaby bei Berlin auf eine Auswanderung nach Palästina vorbereitete und nach Lübeck gekommen war, um Abschied von Großmutter, Tante und einer weiteren Verwandten zu nehmen. In der Familie von Frieda Dieber wurde diese Karte ebenso sorgsam verwahrt wie eine Reihe von kurzen handschriftlichen Mitteilungen aus dem Ghetto Theresienstadt mit Aussagen wie: „Mir geht es gut.“ und „Es ist schön hier.“ oder „Ich bin in einem Altersheim, habe es sehr gut getroffen.“ 

Die Wirklichkeit sah anders aus. „Es waren vor allem alte Menschen, die in diesen Monaten aus Deutschland nach Theresienstadt kamen. Mehr als die Hälfte war über 65 Jahre alt. Sie kamen in plombierten Waggons auf dem Bahnhof in Bohušovice an, waren bis zu 20 Stunden unterwegs gewesen und schleppten sich mit ihrem 50 Kg Gepäck mit letzter Kraft die 4 Km lange Straße entlang nach Theresienstadt. Beim Öffnen der Waggons fielen viele schon halb ohnmächtig heraus, Tote und Sterbende blieben in den Waggons zurück. 

Ein Transport kam nach dem anderen. Niemand wußte, wo all diese Menschen untergebracht werden sollten, denn das Ghetto war völlig überfüllt, der Ältestenrat und die Hilfsdienste völlig überfordert. Die Lebensmittelrationen nahmen stetig ab und die Sterberate stieg. Im Juni 1942 waren alle Kasernen überfüllt, im Juli reichten die vorhandenen Gebäude nicht mehr aus. Die Menschen wurden in unterirdischen Kasematten, auf Höfen, Hauseingängen und auf Dachböden untergebracht.“ (www.ghetto-theresienstadt/info/Das Ghetto der Alten)

Ihre Schwester Helene erwähnt Frieda Dieber auf den Karten aus dem Ghetto  Theresienstadt nicht. Helene und Sally Aron wurden am 24. / 25. August 1942 von Tilsit / Königsberg nach Theresienstadt deportiert. „Schon während der zwei- bis dreitägigen Fahrt bei großer Sommerhitze wurden viele Insassen des Zuges so geschwächt, dass sie bald nach der Ankunft im Ghetto verstarben.“ (Gottwaldt / Schulle) Möglicher Weise kam Helene Aron, geborene Rubensohn, so ums Leben. Ihr Mann Sally Aron wurde am 23.9.1942 weiter deportiert ins Vernichtungslager Treblinka. 

Im selben Transport wie Frieda Dieber war auch ihre Schwägerin Frieda Rubensohn, geborene Mendel, nach Theresienstadt gekommen. Sie war die Witwe ihres ältesten Bruders Franz, der sich am 6. Juli 1939 in Hamburg das Leben genommen hatte, und verstarb nach wenigen Monaten am 31.10.1942 im Ghetto. Auf ihrer „Todesfallbenachrichtigung“ werden als Verwandte ihre beiden Schwägerinnen Frieda Dieber und Helene Aron genannt, außerdem eine Lotte Rubensohn. Es ließ sich bisher nicht feststellen, wer das gewesen ist.

Todesfallbenachrichtigung von Frieda Diebers Schwägerin
Todesfallbenachrichtigung von Frieda Diebers Schwägerin

Auf ihren Postkarten aus Theresienstadt gab Frieda Dieber folgende Adressen im Ghetto an: Neue Gasse 18, später Bahnhofstraße 6-16 und schließlich Hauptstraße 02/18. 

Regelmäßig schickten ihre Kinder aus Lübeck Päckchen und Pakete mit Lebensmitteln und Kleidung. Besondere Freude konnten sie der Mutter mit Fotos der Enkelkinder machen. 

„ Nun habe ich meine Enkelkinderbilder bei mir, wie froh und glücklich bin ich darüber; der kleine Heinzelmann ist so süss. Du meine Helga bist gut getroffen, ich danke Euch herzlichst dafür.“ (13.2.1944)

Karten von Frieda Dieber aus dem Ghetto Theresienstadt vom 13.2. und 6.6.1944, Familienbesitz
Karten von Frieda Dieber aus dem Ghetto Theresienstadt vom 13.2. und 6.6.1944, Familienbesitz

Geholfen haben dürfte Frieda Dieber in den letzten Monaten ihres Lebens die Nähe ihres jüngsten Bruders Bernhard Rubensohn, der im Januar 1944 mit seiner Frau Gertrude, geborene von Halle, ebenfalls nach Theresienstadt transportiert worden war. Das Ehepaar hatte in Rostock gelebt und war nach Bernhard Rubensohns Verhaftung während des Novemberpogroms 1938 nach Holland geflüchtet. Nach der Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht wurden sie im Lager Westerbork interniert und am 18. 1.1944 dann nach Theresienstadt deportiert. Im Ghetto waren die beiden in der Langen Straße untergebracht. „Mit Onkel Bernhard und Tante (Gertrude) komme ich jeden Tag zusammen. Mir geht es gesundheitlich einigermaßen. Ich habe große Sehnsucht nach Euch allen und denke immer an Euch.“ , so schreibt Frieda Dieber auf einer ihrer letzten Postkarten nach Lübeck (6.6.1944). 

Bernhard Rubensohn und Getrude Rubensohn, geborene, Familienbesitz
Bernhard Rubensohn und Getrude Rubensohn, geborene, Familienbesitz

Am 25. Juli 1944 starb Frieda Dieber im Alter von 76 Jahren. Zwei lange Jahre hindurch hatte sie Hunger, Kälte, Dreck und Elend im Ghetto Theresienstadt durchgestanden. Eine Todesfallbenachrichtigung gibt es von ihr  - anders als in vielen anderen Fällen – offenbar nicht. 

Postkarte von Bernhard Rubensohn an Curt Dieber vom 14.9.1944, Familienbesitz
Postkarte von Bernhard Rubensohn an Curt Dieber  vom 14.9.1944, Familienbesitz

Ihr Bruder und die Schwägerin blieben zunächst in Kontakt mit den Verwandten in Lübeck. Aber am 9. Oktober 1944 wurden beide nach Auschwitz abtransportiert und dort vermutlich gleich nach ihrer Ankunft in einer Gaskammer ermordet. 

Frieda Diebers Bruder Adolph hatte (wie später Franz) am 8.6.1938 den Freitod gewählt. Nur ihr Bruder Albert Rubensohn konnte mit seiner Familie nach Palästina flüchten und so der Verfolgung entkommen.  

Erich und Helga Dieber 1942,Familienbesitz
Erich und Helga Dieber 1942,Familienbesitz

Kinder und Enkelkinder Frieda Diebers überstanden die letzten Jahre der Naziherrschaft in Lübeck. Obgleich als „jüdisch versippt“ diskriminiert, wurden ihre Enkelsöhne Erich Dieber und Bernd Krauthammel wie auch ihr Sohn Curt Dieber in den Kriegsjahren zur Wehrmacht eingezogen. Bernd Krauthammel überlebte den Krieg nicht, er kam im Februar 1945 ums Leben. 

Verzeichnis der Quellen außerhalb der Standardfachliteratur:

  • Adressbücher und Melderegister der Hansestadt Lübeck
    Archiv der Hansestadt Lübeck
    Staatliche Polizeiverwaltung 109, 110, 124
    Kreissonderhilfsausschuss 1278
    Amtsgericht zu Lübeck, Testament 286 / 1936 Krauthammel Sterberegister No. 1084
  • Familienarchiv Dieber: Fotos, Briefe und Postkarten
  • Gedenkbuch des Bundesarchivs online
  • Gespräche mit Erich Dieber, 2013 
  • Gottwaldt, Alfred / Schulle, Diana: Die “Judendeportationen” aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005, S. 299
  • JSHD Forschungsgruppe "Juden in Schleswig-Holstein" an der Universität Flensburg, Datenpool (Erich Koch)
  • Landesarchiv Schleswig-Holstein, Entschädigungsakten, 
  •   Abt. 761, Nr. 17737 und 18024, Abt. 352, Nr. 7221, 8197, 10058 
  • Lübecker Nachrichten, 7.5.1989, Beitrag von Erna Gogowsky in der Serie
    von Helmut von der Lippe: 1939-1949, Zeitzeugen berichten: „So haben wir es erlebt“
  • Memorbuch zum Gedenken an die jüdischen, in der Schoa umgekommenen Schleswig-Holsteiner und Schleswig-Holsteinerinnen, hrsg. V. Miriam Gillis-Carlebach, Hamburg 1996
  • Theresienstädter Gedenkbuch, Prag 1995
  • Datenbank auf der Website www.holocaust.cz
  • www.ghetto-theresienstadt/info
  • Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims’ Names 
  • Zeitzeugengespräche  

Heidemarie Kugler-Weiemann, 2013