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In der Altengammer Straße 13 wohnte James Lissauer mit seiner Frau Dora, geb. Wisser.

Die Altengammer Straße heute, Foto: 2009, Heidemarie Kugler-Weiemann
Die Altengammer Straße heute, Foto: 2009, Heidemarie Kugler-Weiemann

Von 1934 bis 1938 lebte James Lissauer in der Altengammer Straße 13, zusammen mit seiner Ehefrau Dora, geb. Wisser in der Wohnung im Dachgeschoss. Der Eigentümer des Hauses bewohnte das erste Stockwerk, und das Parterre war an eine weitere Familie vermietet.

Ausschnitt aus der Bekanntmachung von 1848 "die von den im Lübeckischen Staate ansässigen Israeliten angenommenen Familiennamen betreffend"
Ausschnitt aus der Bekanntmachung von 1848 "die von den im Lübeckischen Staate ansässigen Israeliten angenommenen Familiennamen betreffend"

James Lissauer wurde am 8. Februar 1885 in Hamburg geboren als Sohn des Lübecker Kaufmanns Ephraim Joseph Lissauer und seiner Frau Helene, geborene Lissauer. Die weit verzweigte Familie Lissauer war seit langem in Moisling und ab 1848 in Lübeck ansässig.

Josef Haimann Lissauer, der Großvater von James, hatte nach dem Umzug in die Stadt Lübeck das Haus Schildstraße 5 als Geschäfts- und Familienwohnsitz erworben. Hier wuchs James Lissauer im Kreise von Eltern, Geschwistern, Großeltern und weiteren Verwandten auf. Er hatte vier ältere Brüder: Meno, Hermann, Ernst und Friedemannfriedo, die große Schwester Betty und die kleine Schwester Irma.

Schildstraße mit Blick auf die Aegidienkirche. Das dritte Haus von links ist Nr. 5. (Foto: Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck)
Schildstraße mit Blick auf die Aegidienkirche. Das dritte Haus von links ist Nr. 5. (Foto: Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck)

Anzunehmen ist, dass James die Gemeindeschule der Israelitischen Gemeinde besuchte, die in den Räumen der neuen Synagoge in der St.-Annen-Straße gehalten wurde. Hier ging er auch zum Religionsunterricht bei Rabbiner Salomon Carlebach.

Im Lübecker Adressbuch von 1908 und 1909 sind für die Schildstraße 5 die Namen von Ephraim Joseph Lissauer, Kaufmann, Hermann Lissauer, Trödler und Agent, und Simon Emmering, Viehhändler, verzeichnet. Der aus Holland stammende Simon Emmering hatte 1904 James' ältere Schwester Betty geheiratet. Seit dem Tod der Großeltern bewohnte das Ehepaar mit seinen vier Kindern die Wohnung im ersten Stock.

Bis 1926 lebte James Lissauer in der Schildstraße 5. Offenbar erst dann gründete der bereits 41 jährige Schlachtergeselle seinen eigenen Hausstand. Seine Ehefrau Dora Christine Elisa, geborene Wisser, war zwölf Jahre jünger als er; sie wurde am 15.12.1897 in Lübeck geboren und war evangelisch. Nach mehreren Umzügen im Stadtteil St.Lorenz vom Hansering 17 zum Sumpfkrug 8 und in die Brüderstraße 5 zogen die beiden 1930 nach Stockelsdorf, im Juni 1931 in die Ritterstraße 24 und schließlich am 7. Mai 1934 in die Altengammer Straße 13.

Kinder hatte das Ehepaar keine.

Boykottaufruf 1935 in den Lübecker Zeitungen
Boykottaufruf 1935 in den Lübecker Zeitungen
Schlachtviehmarkt in Lübeck, 1935
Schlachtviehmarkt in Lübeck, 1935

Die Berufsbezeichnungen von James Lissauer veränderten sich von Schlachtergeselle zu Viehtransporteur und schließlich zu Transporteur. Vermutlich hatte er zunächst auf dem Lübecker Schlachthof gearbeitet und mit den wachsenden Schwierigkeiten für Juden dort später auf andere Weise versucht, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Auf der Meldekarte von James Lissauer finden sich als letzte Eintragungen der Stempel "Erk.dienstlich behandelt" und "20.12.38 / 4.2.39 n. Holland von Amts wegen". Hieraus lässt sich schließen, dass James Lissauer zu den vielen jüdischen Männern gehörte, die in der Pogromnacht 9./10. November 1938 verhaftet wurden. Wie alle anderen Betroffenen aus Lübeck kam er in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Durch die familiären Verbindungen zur Familie Emmering, die mittlerweile nach Holland emigriert waren, konnte er seine Freilassung erwirken und im Dezember 1938 nach Holland flüchten, wohin seine Frau ihm Anfang Februar 1939 folgte.

Doch Sicherheit vor den Nazis bot das Exil nur für kurze Zeit. Nach der Besetzung Hollands durch die Deutschen im Mai 1940 wurden Dora und James Lissauer am 7. Mai 1940 im Lager Westerbork interniert. Dort verstarb Dora Lissauer am 29. Mai 1941 im Alter von 43 Jahren.

James Lissauer wurde am 18. Januar 1944 nach Theresienstadt deportiert und von dort am 16. Mai 1944 weiter nach Auschwitz. Am 7. Juli 1944 wurde er ermordet. Er war 59 Jahre alt.

Viele Verwandte von James Lissauer wurden ebenfalls Opfer der Schoa. Genannt seien an dieser Stelle nur wenige Namen: Seinejüngere Schwester Irma Rosenstein, geborene Lissauer, Jahrgang 1896, ihr Ehemann Otto Rosenstein, ihre Tochter Leah Lieselotte, Jahrgang 1929, und ihr kleiner Sohn Ferdinand Ephraim, Jahrgang 1937, kamen in Litzmannstadt ums Leben. Ihr älterer Sohn Hermann Rosenstein, Jahrgang 1922, floh aus Lübeck nach Amsterdam, wurde nach Auschwitz deportiert und verlor sein Leben bei einem Bombenangriff auf einen Häftlingstransport aus einem Außenlager des KZ Dachau.

Seine ältere Schwester Betty Emmering, geborene Lissauer. Jahrgang 1881, wurde von Holland zunächst nach Bergen-Belsen, dann nach Theresienstadt und schließlich nach Auschwitz deportiert und ermordet. Auch ihre Kinder verloren in verschiedenen Vernichtungslagern ihr Leben. Nur ihrer Tochter Marianne war die Flucht in die USA gelungen. Sie war vermutlich die einzige Überlebende einer großen Familie.

Verzeichnis der Quellen außerhalb der Standardfachliteratur:

  • Adressbücher und Meldekartei der Hansestadt Lübeck
  • Archiv der Hansestadt Lübeck, Staatliche Polizeiverwaltung 109, 110
  • Datenpool JSHD der Forschungsstelle “Juden in Schleswig-Holstein” an der Universität Flensburg
  • Digital Monument to the Jewish Community in the Netherlands: www.joodsmonument.nl
  • Goldberg, Bettina/ Paul, Gerhard: Matrosenanzug - Davidstern. Bilder jüdischen Lebens aus der Provinz, Neumünster 2002
  • Herinneringscentrum Kamp Westerbork, Auskünfte von Josée Martin
  • Klatt, Ingaburgh: “...dahin wie ein Schatten”, Aspekte jüdischen Lebens in Lübeck, Lübeck 1993
  • Landesarchiv Schleswig-Holstein, Abt. 761, Nr. 17414
  • Memorbuch zum Gedenken an die jüdischen, in der Schoa umgekommenen Schleswig-Holsteiner und Schleswig-Holsteinerinnen, hrsg. V. Miriam Gillis-Carlebach, Hamburg 1996
  • Albrecht Schreiber, Zwischen Davidstern und Doppeladler, Illustrierte Chronik der Juden in Moisling und Lübeck, Lübeck 1992
  • Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims’ Names
  • Zeitzeugengespräche


Heidemarie Kugler-Weiemann, 2009 und 2012